von Lorenz Graf
Wir waren Pächter einer Alpenvereins-Wander-Hütte. Mehrmals in der Woche besuchte uns der Briefträger. Er stellte die Post zu, erledigte auch Bankgeschäfte und andere touristische Formalitäten und brachte viel Tratsch von unten herauf auf den Berg. Einmal überraschte er uns mit dem Angebot, dass seine Hündin fünf süße Junge bekommen hat und er uns eines schenken wolle. Wir lehnten dankend ab mit der Begründung, dass im Wirtsgeschäft ein Hund nicht günstig ist. Tage später war er wieder da und hatte Fotos von den Welpen mit. Meine Frau bekam gleich nasse Augen, so herzzerreißend lieb waren die Hündchen. Aber wir blieben dabei: kein Hund. Die Woche darauf war unser Briefträger wieder da. Er griff in seine Jacke, zog ein herziges Etwas, ein kleines Hündchen, hervor und sagte:“Schau, so schön ist es hier. Aber die wollen dich nicht. Dann gehen wir wieder.“ Meine Frau sah das liebe Geschöpf, bekam glänzende Augen und – wir hatten einen Hund, eine Hündin.
Wir nannten sie Jerry, ein lebenslustiges, kluges Weibchen mit enormer Energie und Kondition. Sie genoss das freie Leben am Berg, begrüßte freudig Gäste und meldete jede Störung lautstark, war aber immer ganz friedlich. Nach Jahren stellten wir fest, dass unsere geliebte Jerry schwanger war. Als der Geburtstermin da war, erlaubte ich meiner Tochter von der Schule daheim zu bleiben, weil sie unbedingt bei Jerry bleiben wollte, wenn diese ihre Jungen gebar. Sie wachte bei Jerry bis diese fünf Junge geboren hatte. Die Tochter hat da sicher mehr gelernt als in vielen Schulstunden vorher und nachher.
Jedes Tier sah anders aus: weiß, schwarz-weiß gefleckt, weiß mit braunen Flecken, schwarz und weiß mit schwarzem Kopf. Unsere Tochter gab jedem einen Namen: Tiffany, Sirika, Bauki, Leila, Gypsi.
Natürlich konnten wir die fünf jungen Hunde nicht für immer behalten. Ich wollte sie so schnell wie möglich verschenken. Aber das war nicht einfach, obwohl sehr großes Interesse bestand. Leicht hätte ich sie an einem einzigen Wochenende alle herschenken können. Aber ich habe meine Tochter unterschätzt.
Sie besuchte die erste Klasse Volksschule und stellte Bedingungen: Einen Hund bekommen nur die, welche einen Bauernhof und Kinder haben. Außerdem will sie vorher ihr neues Zuhause sehen und es darf nicht zu weit weg sein, damit sie auf Besuch kommen kann. Sie hat ihre Wünsche durchgesetzt und alle unsere Hündchen waren gut untergebracht. Nach Jahren lief uns bei einer Wanderung plötzlich ein Hund zu und sprang uns stürmisch an. Er war fast doppelt so groß wie unsere Jerry. Meine Tochter rief: „Das ist die Tiffany! Sie kennt uns noch immer und schau, wie sie sich freut.“
An einen Fronleichnamstag, es war heiß, suchte sich unsere Jerry einen schattigen Platz. Sie war schon eine 12 Jahre alte Hundedame. Sie legte sich nieder und als wir sie später fanden, war sie schon friedlich entschlafen. Kinder und Frau saßen daneben und weinten. Jerry war zwar klein, aber eine Größe in unserer Familie.
© Lorenz Graf 2020-01-27