von Ralph Saml
Als ich drei Jahre alt war, bekam ich eine Brille.
Die Probleme begannen mit der Schulzeit. Was hatte ich für Kosenamen! „Nudelaug“, „Scheanglada“ (Schielender), „der mit dem Kreuzblick“. Kinder können sehr brutal sein.
Aber auch daheim war es stressig. Mein linkes Auge hatte eine Sehschwäche, außerdem driftete es immer wieder seitlich ab. Ich wurde immer wieder angebellt: „Schau grad“!
Im Gymnasium begann ich mich für Mädchen zu interessieren, die mich jedoch nicht beachteten. Wie denn auch, ich trug ja diese hässlichen Krankenkassenbrillen.
Wie sehr hab ich mir gewünscht, eine fesche Freundin zu haben!
Deshalb nahm ich auf dem Weg zu Schule im Stiegenhaus meine Brille ab und versteckte sie in meiner Schultasche.
Peinlich wurde es, als ich meine Mutter einmal zufällig auf der Straße begegnete. „Warum hast du deine Augengläser nicht auf“?
Nun begann ein blödes Spiel: Sie kontrollierte mich, ich tat alles, um sie zu überlisten. Es wäre für mich die absolute Katastrophe gewesen, in der Öffentlichkeit mit Brillen gesehen zu werden.
Mit 16 hat sich dann alles verändert. Ich hatte einen neuen Freundeskreis. Wir trafen uns jeden Samstag im Dianabad. Es war eine herrliche Zeit und eine Befreiung für mich. Denn plötzlich interessierten sich die Mädchen für mich. Und das nutzte ich aus. Ich wurde ein richtiger Aufreisser.
Später hatte ich Kontaktlinsen. Zuerst harte und dann weiche. Doch nach ein paar Jahren reagierte ich darauf allergisch. Also lebte ich fortan ohne Sehbehelf. Ich hatte gelesen, dass Aldoux Huxley es geschafft hat, durch spezielles Augentraining seine Sehkraft zu verbessern, doch mir ist das leider nicht gelungen.
Bei einer Marathonmesse stieß ich dann durch Zufall auf einen Stand, wo Laserkorrekturen angeboten wurden. Zuerst hatte ich Angst davor. Doch nach reiflicher Überlegung entschloss ich mich, die Operation zu wagen.
Der Eingriff dauerte keine zwei Minuten. Als ich später am Abend am Schwarzenbergplatz stand und die Straßenbeleuchtung und die Scheinwerfer der Autos nicht mehr als Lichtsuppe sah, war ich total geflasht.
Es ist zwar herrlich, alles klar zu sehen, doch was viel wichtiger ist: Ich habe gelernt, meine Augen so anzunehmen, wie sie sind.
© Ralph Saml 2019-11-08