Ich hab dich!

Barbara Pachl-Eberhart

von Barbara Pachl-Eberhart

Story

Wie mag er sich nur anfühlen? Dieser eine, gewisse Moment. Der kitzlige Augenblick, in dem der Mund sich öffnet und das Lachen in winzigen, noch unhörbaren Perlen aus dem Bauch emporzusteigen beginnt. Er schauert im Rücken. Der Nacken ist offen, zwischen Ohr und Ohr ist alles hellwach. Der Körper pulsiert, will sich ducken, will losrennen, hält aber still, flirrt in lebendiger Pose.

Der Mund atmet, nicht ein, nicht aus, sondern irgendwas dazwischen, etwas mit viel Luft, etwas, das keinen Namen hat und auch keinen haben will.

Ja. So stelle ich es mir vor. So fühlt es sich an, gefangen zu werden. Wenn man kichernd davongelaufen ist mit hellem „Uaaaah“. Und dann einfach stehen bleibt.

„Jetzt hab ich dich, schnapp!“, rufe ich. Mein Töchterchen lacht. Und läuft gleich wieder los, um sich erneut, erwartungsvoll, fangen zu lassen. Es rührt mich, wie ihr aufgespanntes Kreuz meine Arme erwartet. Es rührt mich, wie der Schauer sich in ihrem kleinen Rücken mit der Fähigkeit zu Vertrauen vereint.

Was fĂĽr ein Kindermut! Sich fangen zu lassen. Sich trotz des schaurigen GefĂĽhls einholen zu lassen von dem, was einem gerade noch auf den Fersen war!

Schon haben wir den Hof unseres Hauses durchquert. Sechs Mal habe ich mein Mädchen geschnappt, sechs Momente lang durfte ich sie umarmen. Jetzt steigen wir die Stufen zu unserer Wohnung hinauf. Erika singt ihr Treppenlied. Und ich sinniere.

Wie gut kenne ich es, das Wegrennen! Täglich, stĂĽndlich laufe ich davon, auch jetzt in diesem Moment. Vorwärts gerichtet haste ich durch die Zeit, oft schneller als mein Schatten, um nur ja nicht eingeholt zu werden von dieser Aufgabe, von jener Erkenntnis oder von einem GefĂĽhl, das mich sonst vielleicht ergreifen wĂĽrde. Wie mag es sich wohl anfĂĽhlen – wenn ich aufhörte, zu rennen, wenn ich bewusst stehen bliebe, hellwach von Ohr zu Ohr, mit offen atmendem Mund, wenn ich das Kitzeln im RĂĽcken aushalten, vielleicht sogar genieĂźen … und mich hingeben wĂĽrde, damit es, was auch immer es ist, mich endlich erwischt.

Meine Tochter hat mich gerade daran erinnert, dass das ursprüngliche Spiel, das Spaß macht, „Fangen“ und nicht „Davonrennen“ heißt. Die noch mutigere Version heißt „Fangen lassen“. Es hat ein bisschen gedauert, aber jetzt habe ich die Regeln kapiert.

„Fängst du mich auch einmal?“, frage ich, als wir zur Wohnungstür gehen. Ich mache zwei Schritte, warte. Es kribbelt. „Hab dich schon“, quiekt Erika, als sie mich schnappt und mit ihrem ganzen kleinen Kinderleib meinen Rücken umarmt.

© Barbara Pachl-Eberhart 2022-04-24

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