Als ich noch meinen Beruf an einer höheren Schule als Professorin ausübte, da gab es eine Priorität: Ordnung muss sein! Ob es sich um die Aufzeichnungen über die Mitarbeiten, die Schularbeiten, Literaturtests oder Präsentationen meiner Schüler:innen handelte, meine Mappen waren vorbildlich und jederzeit auffindbar. Im Lehrberuf geht es nicht ohne Ordnung, die Aufzeichnungen wurden penibel eingetragen, denn eine „gerechte“ Note ergab sich aus genauen Aufzeichnungen im Unterricht. Mein Schreibtisch war wirklich jederzeit herzeigbar, denn so vergeudete ich mit Suchen keine Zeit.
Ganz anders in der Pension, denn ab diesem Zeitpunkt musste ich nicht mehr funktionieren und genoss es sehr, dass sich Zeitschriften, Bücher, aber auch jede Menge Notizen auf meinem heiß geliebten Schreibtisch stapelten. Der mit einer Glitzerkugel ausgestattete Bleistift oder unzählige Notizbücher lassen die schöne grüne Schreibtischplatte oftmals verschwinden. Bei meinem Schreibtisch handelt es sich um ein „Uraltexemplar“ aus den 70er Jahren, das ich nach der Pensionierung meines Vaters vererbt bekam. Auf ihm kann ich viel unterbringen und die tiefen Fächer und Schubladen sind randvoll. Von einem Ordnungssystem kann man wirklich nicht sprechen, deshalb nennt mich mein Mann heute „Chaosqueen“, denn er sieht ja nur die „Unordnung“ und nicht das kreative Chaos, in dem ich mich wunderbar zurechtfinde.
Meine Nichte Sandra schenkte mir aus diesem Grund zu meinem Geburtstag ein kleines gerahmtes Plakat mit folgendem Zitat: „Das ist kein Chaos, das ist kreative Schreibtischgestaltung!“ Mein Mann und ich lachten herzlich über dieses originelle Geschenk, das den Nagel auf den Kopf traf. Ich gebe ehrlich zu, dass ich es genieße, auf meinem großen Schreibtisch zu kramen und vor allem immer die richtigen Aufzeichnungen für meine Geschichten zu finden. Außerdem platzierte ich einen Spruch von Albert Einstein in Augenhöhe, der jeden zum Schmunzeln bringt. „Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen aus, der ihn benutzt?“ Ich denke mir, dass sich mein „papierene Durcheinander“ locker ertragen lässt, denn bis heute haben sich in einer schmutzigen Kaffeetasse noch keine Mikroorganismen bilden können. Obwohl ich aufzeigen möchte, dass der Mikrobiologe Alexander Fleming das Penicillin nur deshalb entdeckte, weil er auf seinem Schreibtisch zwei Petrischalen mit Pilzkulturen vor seinem Urlaub vergessen hatte. Als er zurückkehrte, entdeckte er den Schimmelpilz, aus dem Penizillin gewonnen werden konnte.
Debra Trampe hat in Untersuchungen an der Universität Groningen festgestellt, dass ein Tohuwbohu auf dem Schreibtisch hilft, einfacher zu denken und dazu führt, dass bei Problemen kreative Lösungen entdeckt werden. Das Chaos bietet dem Gehirn Ablenkung, so entfalten sich viele Impulse und daraus entstehen tolle Ideen, die spontan ausprobiert werden. Für den Psychotherapeuten Meike Parussell bedeutet Kreativität, Dinge in einem anderen Betrachtungswinkel zu sehen. Chaos macht offen für Neues und das ist mein Schreibcredo geworden!
© Christine Büttner 2023-05-13