Ich nehme mir das nächste Stück

Miriam Müller

von Miriam Müller

Story

Ich nehme mir das nächste Stück, ohne den Blick dabei vom Laptop zu lösen. Bloß nicht sehen, wie weit ich schon vorgedrungen bin. Bloß nicht darüber nachdenken, was ich da tue. Ich brauche nur drei Bissen, der Teig ist ja so dünn, dass man ihn übereinander falten kann, also falte ich und stopfe, eins, zwei, dreimal, kurz runterschlucken dazwischen, wenig kauen. Dann greife ich nach dem nächsten Stück. Selbes Spiel. Ich überhole mein Sättigungsgefühl mit meiner Gier, bald schon ist der Karton vor mir leer, bevor sich mein Bauch überhaupt zu Wort melden konnte. Aber ich muss noch mehr haben. Ich stehe auf, um zum Kühlschrank zu laufen, drehe aber vorher die Lautstärke an meinem Laptop auf, sodass ich während meiner Suche die Stimmen der Schauspieler hören kann, und nicht mir selbst dabei zuhören muss, wie ich mich zerfleische.

Scheiße, nichts mehr da. Ein paar Pilze, welker Salat, der mich anklagt, eine halbe Scheibe Käse, die schwitzt. Ich schiebe mir Käse und Pilze rein, ignoriere den Salat, Kühlschrank zu. Weiter geht es mit den Regalen daneben. Ich finde ein wenig Toast, es schmeckt nach nichts, viel ist es auch nicht mehr. Ich überlege, die Dose Kichererbsen zu öffnen, doch das Abtropfen würde zu lange dauern, und ich bin ungeduldig. Als ich schließlich die Schublade zu den Backzutaten öffne, habe ich endlich Glück. Vom letzten Backprojekt ist noch eine halbe Tafel weißer Kuvertüre übriggeblieben. Ich reiße sie aus ihrer Plastikverpackung und setze mich wieder hinter den Bildschirm. Was läuft, ist völlig egal.

Ich ramme meine Zähne in die harte Kuvertüre und versuche, ein möglichst großes Stück abzuschaben. Sie ist genau das, was ich jetzt brauche. Ihr Fett macht meine Gedanken lahm, der Zucker lässt ein bisschen Glück vom Schädel regnen. Sie wird weich auf meiner Zunge, dann schlucke ich. Wieder hartes Zubeißen, ich spüre leichten Schmerz in meinen Zähnen, mache aber weiter. Ich will sie wie eine Schokoladentafel essen. Weiter, weiter – bis mich mein Gefühl schließlich doch einholt. Mir wird furchtbar schlecht.

Ich lasse das letzte Stück auf meinem Schreibtisch liegen, wissend, dass ich morgen einfach weiter-essen werde, und lege mich mit meinem Laptop aufs Bett. Die Übelkeit ist im Liegen besser zu ertragen, sagt die Erfahrung. Es ist schmerzhaft, jetzt auf dem Rücken zu liegen, doch wenn ich mich auf die Seite drehe, müsste ich mich mit dem Gefühl meines Bauchfettes auf der Matratze auseinandersetzen, für das ich jetzt aufs Zehnfache sensibilisiert bin. Ich bleibe also auf dem Rücken liegen, Schmerz erscheint mir hier als das kleinere Übel, und halte aus.

Ich halte einfach aus.

Ich will nur noch einschlafen. Kurz setzte ich mich auf, um meine Hose vom Körper zu ziehen. Ich werfe sie in die Dunkelheit, mein Oberteil lasse ich an. Starre wieder auf den Bildschirm. Irgendwas explodiert, ich versuche es zu fühlen. Eigentlich ist es mir egal.

Mir muss nur alles egal sein.

© Miriam Müller 2022-08-25

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