von Mary Modl
Welchen gemeinsamen Nenner haben Mathe und Schweine? Nun, die Antwort folgt:
In Michelstetten am FuĂe des Buschberges wohnte Claudia. Jene Mathematikerin, die sich abmĂŒhte, meinem Vektoren-Trauma, das mich seit meiner Schulzeit verfolgte, ein Ende zu setzen. Im Gegenzug las ich ihre Dissertation Korrektur. Einmal pro Woche setzten wir uns fĂŒr die Dauer von drei Stunden zusammen, wobei ich zu ihr fuhr. Dabei muss man durch Schletz. Ein kleiner Weinviertler Ort, wo Fuchs und Hase TĂŒr an TĂŒr ungestört wohnen könnten.
An diesem einen Augusttag war es mit weit ĂŒber 30+ beinahe unertrĂ€glich heiĂ, als ich Schletz passierte. Sie war nicht plötzlich da, sondern trabte im monoton anmutenden Rhythmus der Hitze direkt auf mich zu. Sie, die ĂŒberdimensionalste Zuchtsau, die meine Augen jemals zu schaue bekommen hatten. In Sekundenschnelle waren alle Fenster zu. Die prall gefĂŒllten Euter des Tiers wirkten, als ob sie jederzeit platzen könnten; das Schwein dĂŒrfte gerade erst ausgeschĂŒttet haben.
Sie bremste sich direkt vor meinem Auto ein, die Sau, und sogleich bewegte sie sich Richtung Fahrerseite, mir nĂ€her und nĂ€her kommend. Und dann dockte sie mit ihrem RĂŒssel an meiner Fensterscheibe an. Langsam meinen Kopf linksdrehend, hatte ich mein erstes direktes Face-to-face-Erlebnis mit einer Zuchtsau. Blaue Augen und ganz lange Wimpern. Ich war fasziniert; konnte meinen Blick nicht von ihr lassen. Sie allerdings auch nicht ihren RĂŒssel von meiner Autoscheibe. Nach einer Weile war ich ĂŒberzeugt, das Schwein hĂ€tte sich derart fest an dieser angesaugt, dass es sich nicht mehr befreien könne.
Derart in Not rief ich den Polizeinotruf, der mich mit dem zustĂ€ndigen Posten verband. Nach kurzer Schilderung der Sachlage wurde mir mitgeteilt, ein Kollege wĂŒrde verstĂ€ndigt, der eben aus dieser Ortschaft sei. Nach etwa zehn Minuten â der RĂŒssel hatte sich noch immer nicht bewegt â kam ein ziemlich durchtrainiert wirkender Mittvierziger in Badeshorts und Jesusschlapfen in Form des Erlösers angelaufen; der erste Beweis fĂŒr Schletz-Existenz. Er stellte sich als der Kollege vor, der gerade im Urlaub sei.
âJo wos mochst du denn do, Emma! Bist scho wieder oboscht, du Waundertant. Deine Ferkal brauchen di doâ, klopfte er der Sau beinahe zĂ€rtlich auf den RĂŒcken ⊠und endlich löste sich der RĂŒssel mit einem gewaltigen Ruck von meiner Autoscheibe. Lediglich milchigweiĂe Schlatzschlieren blieben haften.
Die Zuchtsau Emma gehöre zufĂ€llig sogar einem Verwandten, erfuhr ich sogleich. Immer wieder wĂŒrde sie ausreiĂen. Der ganze Ort kenne sie ja schon; sie sei quasi bereits ein Schletzer Wahrzeichen. Ich bedankte mich fĂŒr das rasche Eingreifen des OrdnungshĂŒters mit Sixpack, der durchaus als Kalendermann gute Figur gemacht hĂ€tte, und startete die Weiterfahrt.
Einige Tage spĂ€ter las ich in der NĂN, dass Zuchtsau Emma eine besondere Begegnung mit einem Auto gehabt hĂ€tte. Ich schmunzelte. Mein Schweinefleischkonsum hat sich seither sehr dezimiert.
© Mary Modl 2020-01-06