von Lene Wollmer
Die Gefahren des Lebens, sich selbst in der Liebe zu verlieren, kommen schneller, als man denkt. Wenn es passiert ist, wird das Ergebnis meistens nicht zu Tomaten aus der Dose verwandelt. Obwohl die geteilte Liebe zu Tomaten sicherlich eine gute Grundlage für gemeinsame Zeit sein kann. Tomatensoße ist schließlich die wichtigste Basis einer guten Bolognese und Bestandteil vieler unserer liebsten Kindheitserinnerungen. Passenderweise sind Tomaten auch rot – wie die Liebe. Nimm den Druck raus. Tomaten werden auch nur matschig unter Druck. Wenn noch nicht alles gut ist, bleibt die Möglichkeit, dass es gut wird. Wo nichts ist, gibt es schließlich viel Luft nach oben. Gewisse Enttäuschungen können besser sein als unsichere Erwartungen. Ich suche das Gefühl von damals – mit einer anderen Person. Die erste Liebe scheint einmalig, aber meistens sind erste Male nicht die besten, sondern eben ein erster Versuch. Sich gewöhnen – an die Stadt, das Wetter, aneinander und das Miteinander. Und sogar an die hohen Preise kann oder muss der Mensch sich gewöhnen. Das Gegenteil eines Wohlfühlortes. Es gibt wenig, was das Herz begehrt, und wenn, dann zu einem zu hohen Preis. Nicht nur finanziell gesehen, sondern vor allem auf Kosten des Wohlbefindens. Leere Tassen für drei Euro, die zu klein für den Hafercappuccino sind. Die urteilenden Blicke der anderen am Tisch nebenan.
Ein Mann Mitte vierzig mit seinen zwei Kindern bei „Zeit für Brot“. Die Brezel-Bestellung ist nicht verfügbar – den Grund hat, glaube ich, niemand verstanden. Eine alternative Lösung muss er selbstverständlich erst absprechen, denn Männer in seiner Position können Entscheidungen dieser Art nicht vollständig alleine treffen. Eine Brezel hier kostet mehr als eine Zehner-Aufbackpackung bei Aldi. Mit dem Aufbacken hätte er Zeit, Nerven, Energie und eine Diskussion mit seinen Kindern bezüglich der Frustration über ein fehlendes Frühstück sparen können. „Das ist ungünstig, wir haben vor einer Woche dreißig Brezeln bestellt, weil das ist ein Weißwurstfrühstück, also da brauchen wir die Brezeln schon.“ Zwanzig Minuten später (die Aufbackbrezeln im Ofen brauchen ungefähr elf bis zwölf) verlässt er mit einer blauen Aldi-Tüte voller Alternativen den Laden. In einer Welt voller Veränderung, ständig auf der Suche nach ein wenig Beständigkeit. Mit der Hoffnung auf etwas, das bleibt, ist man in dieser Welt nicht allein und fühlt sich doch ein wenig ausgeliefert. Heute laufe ich zum zweiten Mal an dem Löfbergs-Stand in Pasila vorbei. In der Auslage liegt ein letztes Croissant, das auf jemanden wartet, dessen Tag es mit einem kleinen, kurzen Moment des Glücks füllen könnte. Es bleibt unberührt und unbeachtet liegen, während das Leben drumherum in gewohnter und beständiger Hektik weitergeht. Menschen auf dem Weg irgendwohin, mit den Gedanken immer schon einen Ort weiter. Das Hier und Jetzt scheint nicht zu genügen, um uns zufrieden zu machen. Stattdessen brauchen wir den Podcast auf den Ohren und die Bilder einer anderen Realität auf dem Bildschirm, um unsere eigene nicht zu sehen. Drei Stunden später laufe ich erneut an dem Stand vorbei. Es fühlt sich fast wie ein Ankommen an, dieses Croissant unverändert an seinem Platz zu sehen – genauso, wie ich es zuletzt zurückgelassen habe. Ein kleiner, stiller Beweis, dass es manchmal Dinge gibt, die bleiben.
© Lene Wollmer 2025-02-27