von Eva Filice
„In einem kleinen Café in Hernals“ . . . besingt Hermann Leopoldi „ein kleines, gemütliches Vorstadtlokal“, wo die „Fauteuils haben kan Samt und´s Klavier kein Pedal“. Tausendmal schöner als im Grandhotel, behauptet er. Die Gemütlichkeit, die Wien oft zugeschrieben wird, drückt der Text dieses Wienerliedes im ¾-Takt aus. „In einem kleinen Café in Hernals spielt’s Grammophon mit leisem Ton an English-Waltz. Dort genügen zwei Mokka allein, um ein paar Stunden so glücklich zu sein.“
Der einstige Vorort bezeichnet heute den 17. Wiener Bezirk. „In einem kleinen Café in Hernals“, wird das scheinbar unbeschwerte Leben bei einem Kaffeehausbesuch geschildert, wo Zeitung gelesen, Schach, Karten oder Billard gespielt wurden. Künstler, Literaten und Intellektuelle verbrachten in ihrem Stammcafé Ende 19. Jh./Anfang 20. Jh. viel Zeit zum Arbeiten oder zum Austausch von Meinungen. So manches Werk von Weltliteratur entstand in einem Wiener Kaffeehaus. Meine Professorin für Bildnerische Erziehung im Gymnasium unternahm mit unserer Klasse Lehrausgänge in berühmte Wiener Cafés, um das Flair der Künstler von einst auf uns wirken zu lassen. Das legendäre Café Hawelka war ein Ziel unserer Kaffeehaus-Expeditionen.
Das typische Wiener Kaffeehaus – bitte Betonung auf der zweiten Silbe ee! – ist auch heute noch bekannt für das Studium der österreichischen und internationalen Tageszeitungen bei einem Kaffee. Doch Achtung „Kaffee“ inkludiert eine ungeahnte Fülle von Möglichkeiten. Dieses seit der Belagerung Wiens durch die Osmanen bekannte Getränk weist in Wien eine Vielfalt an Zubereitung auf. Das Lesen der Karte verwirrt mehr, als es Orientierung bietet. Die Wiener Kaffeehaustradition kennt mehr als 50 Zubereitungsarten für Kaffee. Dabei kommt es neben der Bohnensorte und der speziellen Zubereitung auf die Größe der Kaffeeschalen an, auf das Servieren in unterschiedlichen Gläsern oder Kännchen, mit oder ohne Zucker, mit oder ohne Milch, Milchhaut, Milchschaum und Schlagobers (ist KEINE Sahne!). Manche Spirituosen werden dem Kaffee hinzugefügt und so hat jede Kaffee-Variante einen speziellen Namen: Mokka (einfach oder doppelt), kleiner und großer Brauner, Einspänner, Fiaker, Cappuccino (mit Milchschaum oder Schlagobers), Franziskaner, Wiener Melange, Pharisäer, Verlängerter, Latte Macchiato. Da fällt die Auswahl schwer. Verwirrt? Am besten probieren, denn wer wagt, gewinnt.
Das Ambiente eines Wiener Kaffeehauses und die typische Atmosphäre betrachten die meisten Wiener:innen als erweitertes Wohnzimmer. Auch wenn sich in der Zwischenzeit einiges verändert hat. „Aber bitte mit Sahne“. . . singt Udo Jürgens, doch in Wien bekommt ihr Schlagobers auf den Kaffee und immer ein Glas Wasser dazu. Cafés oder Kaffeehäuser gibt es unzählige. Die Menschentrauben vor dem Sacher, Demel, Café Central, Landtmann, Hawelka bezeugen die Berühmtheit dieser Wiener Institutionen. Die Qualität und die Gemütlichkeit findet sich auch in den Kaffeehäusern, die nicht in den Reiseführern aufgelistet werden. Entdeckt das kleine Café in Hernals oder in anderen Bezirken Wiens. Gelegentlich findet ihr mich im Café Dommayer in Hietzing, wo einst Johann Strauß zum Tanzen aufgespielt hat.
© Eva Filice 2024-01-24