Indigoblau im Regenbogen

Michaela Hoehne

von Michaela Hoehne

Story

Fünfte Stunde, Mathe bei Herrn Rojan. Definitiv einer meiner Lieblingslehrer. Es riecht nach leicht verschwitzen Jugendlichen und abgestandenem Kreidewasser. Die dunkel grüne Tafel ist mit weißen Kreideschlieren versehen, denn der alte, ekelige Schwamm macht schon längst nichts mehr richtig sauber.

Nur wenige Mädchen sitzen in der Klasse, die meisten anderen haben sich gegen den naturwissenschaftlichen Zweig und für Italienisch entschieden. Obwohl ich schon immer dachte, dass man auf Italienisch bestimmt ausgezeichnet schimpfen kann, bereue ich meine Entscheidung nicht. Ich mochte Mathe und die anderen Naturwissenschaften schon immer. Und jetzt haben wir auch noch das Glück Herr Rojan als Lehrer erwischt zu haben. Er ist einer der wenigen, die wirklich Lehrer aus Leidenschaft sind und auch für ihre Unterrichtsfächer brennen. Besonders wenn er über physikalische Themen, sein zweites Fach, redet, fangen seine Augen an zu leuchten und er gerät ins Schwärmen. All die wunderbaren Naturphänomene, die man auch noch wissenschaftlich erklären kann, faszinieren ihn total. Er zieht uns mit seinen Erklärungen und Geschichten in seinen Bann. Zumindest mir geht es immer wieder so. Aber auch Späße kommen nicht zu kurz.

Als wir Kurvendiskussion durchgenommen haben, hat er vielsagend darauf hingewiesen, dass besonders die Jungs Kurven noch richtig zu schätzen lernen werden.

Heute ist er mal wieder etwas vom eigentlichen Thema abgedriftet und hat begonnen über Regenbögen zu schwärmen. Das wechselhafte Wetter hat ihn vermutlich dazu verleitet. Dunkle Wolken werden immer wieder von gleißenden Sonnenstrahlen durchbrochen und die Erwartung, dass irgendwo ein Regenbogen auftaucht, liegt in der schwülen Luft. „Wisst ihr Kinder, jeder von uns sieht seinen ganz eigenen, einzigartigen Regenbogen“, sagt er mit verklärtem Blick. Regenbögen entstehen durch die Brechung des Sonnenlichtes in den Regentropfen, erklärt er. Diese wirken wie ein Prisma und spalten das weiße Licht in sieben herrliche Farben auf: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett. Für manche zählt allerdings Indigo einfach zu Blau. Dadurch dass wir, wenn wir einen Regenbogen sehen, an einer bestimmten Stelle stehen und eine bestimmte Größe haben, sehen wir unseren Regenbogen durch ganz bestimmte Regentropfen gebrochen. Folglich erblickt jeder seinen ganz eigenen, einzigartigen Regenbogen.

Für ihn ist das ganz klar ein Beweis für die Existenz Gottes. So etwas Wunderschönes kann seiner Meinung nach nicht einfach zufällig entstanden sein. Außerdem zeigen Regenbogen damit auf, dass wir alle einzigartig und besonders sind und unseren ganz individuellen Blick auf die Welt werfen.

Wow, so hatte ich die Sache mit dem Regenbogen noch nie betrachtet.

© Michaela Hoehne 2022-07-09

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