von Thomas Vitzthum
21:58. Ich habe jetzt wirklich lange genug gewartet! Die TĂŒr geht einen Spalt auf, ich schlĂŒpfe rein. Das Licht da drinnen ist nahezu gleiĂend, aber meine Augen haben sich relativ rasch daran gewöhnt. Trotz der leicht beschlagenen Fenster kann ich den nĂ€chtlichen Schneesturm erkennen, der hinter ihnen tobt. Es ist in Salzburg an sich nichts Ungewöhnliches, dass Anfang MĂ€rz noch Schnee fĂ€llt, aber ein bisschen freundlicher hĂ€tte das Wetter schon sein können. Das Leben ist kein Wunschkonzert, so viel steht schon mal fest. Ich werde auf der Party wirklich jedem vorgestellt und zweifle, ob ich mir auch nur die HĂ€lfte der GĂ€ste merken kann bzw. merken soll! Wer weiĂ, ob ich die Herrschaften jemals wieder sehen werde. Egal. Zumindest werde ich nicht mit langweiligen Fragen bombardiert, fĂŒr eine niveauvolle Unterhaltung bin ich immer zu haben. Ăber das Thema Körpergewicht möchte ich aber wirklich keine Auskunft geben, das ist dann doch eine Spur zu persönlich. Mich fröstelt ein wenig, eine aufmerksame junge Dame namens Agnes bietet mir eine Decke an, ich werfe sie mir ĂŒber die Schultern und bedanke mich bei ihr dafĂŒr mit einem LĂ€cheln. Die Zeit vergeht hier wie im Fluge. Da hat sich das lange Warten offenbar echt gelohnt. Ich verspĂŒre einen leichten Hunger, meine letzte Mahlzeit ist ja Stunden her. An sich gibt es bei derlei Veranstaltungen auch immer ein Buffet oder zumindest Kanapees. Ich lasse meinen Blick ein wenig schweifen, aber direkt ins Auge springt mir nichts. Das enttĂ€uscht mich jetzt doch einigermaĂen. Vielleicht hatte der Caterer auch eine Panne oder steckt im Schnee fest, bei dieser Witterung wĂ€re es auch kein Wunder. Durst. Also zu trinken gibt es garantiert etwas. Ehrlicherweise kann ich bei Durst ungemĂŒtlich werden, da habe ich einen sehr, sehr kurzen Geduldsfaden. Nichts. Gut, dann muss ich wohl laut werden. Agnes begleitet mich zur Theke. Sieht alles gleich aus, riecht komisch, warme GetrĂ€nke mag ich auĂerdem nicht besonders â sorry, Agnes, das trinke ich sicher nicht!
Trotzdem weicht sie mir nicht von der Seite, die wird ja wohl nicht verliebt in mich sein? Wo bringt sie mich denn jetzt wieder hin, ich habe Durst, erwĂ€hnte ich das nicht? Sie stellt mir einen weiteren Gast vor, eine Frau, sieht irgendwie abgekĂ€mpft aus, warm ist es hier drinnen ja tatsĂ€chlich. Sie spricht mit mir, irgendwie kommt mir die Stimme so bekannt vor. Sie sagt Thomas zu mir, na ja, nicht sehr originell, aber hey, wir haben 1971, gibt schlimmere Namen. Diese Frau sieht mir tief in meine Augen, das ist fast unangenehm. Jetzt laufen ihr TrĂ€nen die Wangen hinab, ich muss ja hĂ€sslich sein. Trotzdem nimmt sie mich in ihre Arme und legt mich auf sich. Meine Ohren hören dieses rhythmische GerĂ€usch, jetzt weiĂ ichâs, das muss meine Mutter sein. Sie ist das also. Was ist das jetzt? Das kitzelt in der Nase. Und Luft bekomme ich auch keine mehr. Ich soll was? In den Mund nehmen? Saugen? Und dann?
Wow, also das lasse ich garantiert nie wieder aus!
© Thomas Vitzthum 2020-11-07