von Jamal Tuschick
Die Lust am Monströsen
Hans Mayer erklärt auch Frauen zu Außenseitern der bürgerlichen Gesellschaft. Den Einstieg verkleidet er rhetorisch: Der „Übertritt in Abseits“ mag Titanismus (Don Juan), einem Pakt mit dem Teufel (Faust) oder Gehorsam (Jeanne d’Arc) geschuldet sein; doch was, wenn ihn „die Geburt auferlegt“?
Mayer schlägt einen Bogen von der höfischen Melancholie zur bürgerlichen Menschenfeindlichkeit. In der Misanthropie erkennt er gesteigerte Melancholie. Um zwei Ecken findet Mayer eine Auflösung hin zur Innerlichkeit.
„Auch die bürgerliche Menschenfeindlichkeit präsentierte sich … als innerer Vorbehalt des Geistes und des Herzens.“
Seit dem Mittelalter übertraf die Bluttat der biblischen Judith alle Skandale, mit Frauen in den Hauptrollen. Der Überschreitungsfuror paarte sich mit dem Darstellungseros und eskalierte in der „Wollust des Monströsen“. Judith schlägt nicht nur Holofernes den Kopf ab. Sie schlägt auch Prinzessin Salome im Ranking der gemalten Erzählungen rund um den Themenkreis weibliche Kaltblütigkeit und Tötungsbereitschaft.
Ich weiß nicht, wie oft ich das Haupt des Holofernes/Judith köpft Holofernes an der Wand einer als herausragende Sehenswürdigkeit ausgewiesenen Kirche gesehen habe. Die Künstlerinnen und Künstler des Mittelalters und der Renaissance gewannen der Judith-Saga noch größeren Reiz ab als Salomes – mit dem Kopf des Johannes belohnter – Tanz.
*
Beschworen Verbrechen die Rache des Himmels herauf, erfolgte die Ahndung nach dem Sacratio capitis.
„Eine Art der Bestrafung, die bis in die frühen Tage des römischen Staates zurück reicht … mit dieser Formel wurde der Verbrecher zum Geächteten erklärt … sodass er von jedermann ungestraft getötet werden konnte.“ Meyers Konversationslexikon
Hans Mayer exponiert den weitgehend vergessenen Doppelcharakter von sacré/sacer – sakral/geweiht, aber auch verflucht. Das Heilige war vor seiner christlichen Eingrenzung „den Göttern geweiht und mit einer unauslöschlichen Befleckung behaftet, erhaben und verflucht, verehrungswürdig und abscheulich“. Émile Benveniste
„Sehet, dies ist das Haupt des Holofernes, des Feldmarschalls der Assyrer, und sehet, das ist die Decke (das Mückennetz), darunter er lag, als er trunken war. Der Herr hat ihn durch die Hand einer Frau erschlagen.“ Buch Judith 13,15
Luther arbeitete sich an Judiths Ermächtigung ab. Nach seinen Begriffen verkörperte die Legendäre „das jüdische Volk“ und Holofernes den „Prophanus dux / vel gubernator / Heidnischer / Gottloser oder vorchristlicher Herr oder Fürst / Das sind alle Feinde des Jüdischen volcks.“
© Jamal Tuschick 2024-06-14