Kapitel 11 – Sophie (1960)

Katrin Moser

von Katrin Moser

Story

Als Sophie von der Schule nach Hause radelte, war ihre Laune nicht die beste. Den ganzen Tag über hatte sie sich, sobald sich eine Gelegenheit ergab, Geschichten über Anna anhören dürfen. Sie konnte gar nicht ausdrücken, wie satt sie das hatte. Seit die Ferien zu Ende waren schien das das Einzige zu sein, von dem Philip redete. Obwohl Anna bei weitem nicht unsympathisch war, schaffte es Sophie nicht, eine wirklich gute Verbindung zu ihr aufzubauen. Dass sie bei ihren Unternehmungen nun ständig das fünfte Rad am Wagen war machte die Sache auch nicht besser.

Am Hof angekommen lehnte sie ihr Fahrrad an den Zaun, streifte ihre Schultasche von der Schulter und ließ sich erschöpft ins Gras sinken. Es war ein langer Vormittag gewesen und dabei standen noch die gesamte Hausarbeit sowie die Schulaufgaben auf dem Programm. Sie gönnte sich ein paar Minuten, in denen sie einfach nur da lag und in den Himmel starrte. Fast wäre sie dabei eingeschlafen, bis sie eine Stimme wieder in die Realität zurückholte.

„Hallo?“

Sie setzte sich auf und schaute sich nach der Person um, die zu der Stimme gehörte. Am Zaun, direkt neben ihrem Fahrrad stand ein Junge mit seinem Fahrrad und einem großen Rucksack auf dem Gepäckträger. Sein Gesicht war von der Herbstsonne gerötet und die Haare klebten an seiner Stirn, doch er lächelte sie munter an.

„Hallo. Kann ich dir helfen?“

Er nickte. „Bitte. Ich bin hier auf der Durchreise und mir ist vor ein paar Kilometern das Wasser ausgegangen. Kann ich meine Flaschen hier vielleicht auffüllen?“

„Sicher doch.“ Sie nahm die Flaschen entgegen und füllte sie mit frischem Wasser an. Als er sie wieder verstaut hatte, streckte er ihr die Hand entgegen.

„Besten Dank. Ich bin übrigens Matthias.“

„Sophie. Wohin soll denn die Reise gehen?“

„Ein konkretes Ziel habe ich eigentlich nicht, also fahre ich für gewöhnlich einfach dort hin, wo es mich hinzieht.“

„Klingt aufregend.“

„Nun, wenn man Wälder, Flüsse und Feldwege aufregend findend, definitiv“, erwiderte er grinsend. „Ich persönlich finde die Leute dann doch etwas faszinierender.“

„Da wirst du zumindest hier im Umkreis sicherlich auf deine Kosten kommen. Im Dorf treiben sich so manche lustige Gestalten herum.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Mal schauen, wer mir noch über den Weg läuft.“ Er schwang sich wieder auf seinen Sattel. „Mach’s gut, Sophie und danke für das Wasser.“

„Keine Ursache. Hat mich sehr gefreut.“

„Mich auch.“ Er lächelte ihr zum Abschied noch zu und fuhr mit ein paar kräftigen Tritten in die Pedale wieder vom Hof. Sophie sah ihm noch nach, bis er hinter der nächsten Kurve verschwunden war. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als ob sie sich nicht zum letzten Mal begegnet waren…

© Katrin Moser 2021-08-15

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