Kapitel 4 – Drei Worte

Lisa Laurin

von Lisa Laurin

Story
2019 – 2020

Mein Neuanfang erhielt eine zusätzliche Liste mit neuen Dingen. Nicht nur eine neue Stadt und eine neue Wohnung, nein. Auch Kleinigkeiten wie jeden Morgen eine Runde um den Lennox Garden Park zu spazieren und anschließend mit einer Tasse Tee auf meinem Lieblingsplatz zu sitzen.

Ich nahm jeden Tag einen anderen Heimweg. So erkundete ich nicht nur London, sondern lernte auch neue Orte kennen. Ich holte mir meinen Kaffee nicht immer an derselben Ecke, sondern dort, wo ich gerade einen neuen Laden fand. Um zu arbeiten, blieb ich nicht in meiner Wohnung. Ich fuhr in sämtliche Parks der Stadt und saß immer auf einer anderen Parkbank in der spätsommerlichen Sonne. Es fühlte sich gut an, immer wieder einen weiteren Punkt meiner Liste abzuhaken. Aber drei Worte schienen mich jeden Tag aufs Neue zu verhöhnen.

Neue Leute kennenlernen.

Das blieb mir bisher verwehrt. Natürlich konnte es daran liegen, dass ich meist Kopfhörer trug oder auf meinem Tablet arbeitete, doch so ganz wollte ich mir das noch nicht eingestehen. Ich hatte gute Freunde. Tolle Freunde sogar. Ach was, ich hatte die besten der Welt! Und dennoch hatte ich sie mitsamt meiner Familie zurückgelassen. Ein schweres Gefühl, das sich verdächtig nach Heimweh anfühlte, machte sich in meiner Brust breit und strahlte bis in die Fingerspitzen. Wir telefonierten oder skypten zwar fast jeden Tag, doch es war einfach nicht dasselbe.

Hätte ich doch nur in diese blöden Kurse gehen können, dann hätte ich jetzt bestimmt schon ein paar Freunde gefunden. Ja, ja, ich weiß. Hätte, hätte, Fahrradkette. Ich versuchte es nicht zu sehr zu zeigen, doch die Ablehnung der Universität fuchste mich noch immer. In eine Bar zu gehen schien mir auch keine sonderlich prickelnde Idee zu sein. Dort würde ich eher einen One-Night-Stand als ein paar neue Freunde finden. Ein Club? Prinzipiell ja, aber allein als Frau? Ohne ein bekanntes Gesicht in der Nähe? Haken drunter, nächster Einfall bitte!

Ins Nichts starrend saß ich auch an diesem Nachmittag vor meinen drei Erkerfenstern und blickte auf die Straße hinunter. Ein paar Kinder gingen vorbei. Dann zwei junge Frauen, die sich über irgendetwas bestens amüsierten. Eine Gruppe Jogger lief kurz darauf an meinem Fenster vorbei und die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz. Nein, ich wollte nicht anfangen zu joggen. Ich war zwar sportlich, aber doch nicht lebensmüde! Aber wo lernte man denn noch andere Leute kennen und kam ins Gespräch? In Fitnessstudios, bei diversen Kursen und bei Sportveranstaltungen. So würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich könnte neue Leute kennenlernen und etwas für meinen Körper tun.

Höchst motiviert hatte ich in kürzester Zeit sämtliche Fitness-Studios in der Umgebung gefunden und meine Sportsachen zusammengepackt. Auf dem Weg zur Wohnungstür zeigte ich den drei Wörtern auf der Liste, die immer schön sichtbar an meinem Kühlschrank hing, demonstrativ die Zunge und verließ mit neuem Schwung meine Wohnung.

© Lisa Laurin 2021-08-14

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