Kapitel 6

Vanessa Bartsch

von Vanessa Bartsch

Story

Verflixt. Wieso war diese Tür nur so laut? Insgeheim verfluchte ich diese knarrende, alte Holztür unseres Hotelzimmers. Doch schon im nächsten Moment zog mich meine Mutter in ihre Arme: »Julia. Mach so etwas nie wieder!« Sie versuchte streng zu klingen, doch die Erleichterung in ihrer Stimme überwiegte um ein Vielfaches. Ich murmelte eine leise Entschuldigung an ihren Hals, sie nickte nur leicht und ließ mich daraufhin los. »Jetzt geh zu Bett. Dein Vater schläft schon, er ist von der Autofahrt sehr kaputt.« Ich nickte etwas beschämt und lief dann zur Tür, die meinen Schlafbereich von dem meiner Eltern trennte. Ich drehte mich nochmal um und lächelte sie an.

»Was habt ihr denn heute geplant?«, fragte ich meine Eltern beim Frühstück, wo die Geschehnisse vom Vortag längst wieder vergessen und vergeben waren. »Wir hatten an eine Stadtführung gedacht. Um 12 Uhr würde hier direkt vor dem Hotel ein Bus abfahren. Hast du Lust mitzukommen oder … möchtest du die Stadt lieber alleine erkunden?«, fragte mich meine Mutter voller Hoffnung und schob sich einen Löffel ihres Müslis, welches sie jeden Morgen aß, in den Mund. Ich überlegte kurz, gab ihr jedoch dann die Antwort, die sie sich wünschte: »Ich komme gerne mit«, fügte dann jedoch noch etwas leiser hinzu: »Vielleicht wäre es ja ok, wenn ich den Nachmittag dann alleine in der Stadt verbringen würde?«, und konnte dabei meine Gedanken nicht aufhalten, die sofort zu Ray wanderten. Vielleicht war er wieder da und hatte Lust mit mir essen zu gehen? Mein Herz machte einen Sprung und ich musste lächeln, was ich jedoch sofort mit einem Kopfschütteln überspielte, sodass meine Eltern keine Fragen stellten. Denn beantworten konnte ich davon sowieso keine. »Wenn du dich diesmal ab und an bei uns meldest, kannst du das sehr gerne machen«, gab mein Vater – nach einem kurzen Blickwechsel mit meiner Mutter – zögernd von sich. Auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und ich biss genüsslich in mein Butterbrot, welches ich mit einer Scheibe Käse belegt hatte.

Als wir kurze Zeit später alle drei satt und gestärkt für den Tag waren, verabschiedeten wir uns von den Gästen, die neben uns gefrühstückt hatten, brachten unsere benutzten Teller weg und gingen wieder in unser Hotelzimmer. Wir hatten noch knapp eine Stunde Zeit, bis der Bus uns abholen würde. Also öffnete ich meinen Koffer, der immer noch so ordentlich gepackt war, wie als wir von zuhause losgefahren waren, da ich noch keine Zeit zum Auspacken gefunden hatte. Ich kramte in meinen Kleidungsstücken herum und verfluchte mich, dass ich meinen schlichten, schwarzen Rock nicht eingepackt hatte. Das Wetter hatte schon fast sommerliche Temperaturen von 22 Grad – und das im März. Ich überlegte kurz, zog dann meine blaue, enge Stretch-Jeans und ein weißes, einfaches T-Shirt, welches keinen Aufdruck hatte, an. Schmunzelnd blickte ich in den kleinen, ovalen Spiegel, welcher an der Tür des Hotelzimmers angebracht war. Perfekt.

© Vanessa Bartsch 2022-08-03

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