Eriks Worte hallen in meinem Kopf nach. „Das Beste wäre, wenn wir die ganze Sache einfach vergessen.“ Ich ärgere mich über mich selbst. Darüber, dass ich wie betäubt dastand und nur genickt habe. Darüber, dass er eine solche Macht über mich hat. Darüber, dass ich das Haus fluchtartig verlassen habe. Und wieder laufe ich. Doch dieses Mal stellt sich kein Hochgefühl ein. Ich fühle gar nichts.
„Ewa, bist du das?“
Abrupt halte ich an. Ben steht auf der anderen Straßenseite und macht Anstalten herüberzukommen. „Alles in Ordnung?“
„Klar, bin nur joggen“, antworte ich abweisend. Zum Glück bedecken die Ärmel meines Hoodies die hässlichen blauen Flecke.
Ben mustert mich skeptisch. „Für mich sah es so aus, als würdest du vor etwas davonlaufen.“
Oder vor jemandem, denke ich. „Hör mal, Ben. Was willst du eigentlich?“
Er kommt einen Schritt auf mich zu und ich weiche instinktiv einen Schritt zurück, so dass ich außerhalb des Radius seiner Arme bleibe. „Ich will mich für mein dummes Verhalten im Sportunterricht entschuldigen und dich fragen, ob du in der kommenden Woche mal ins Kino gehen willst?“
Vor einem Tag hätte die Aussicht, mit einem heißen Jungen ins Kino zugehen, mein Herz höherschlagen lassen, jetzt aber bringe ich nicht mehr als ein Schulterzucken zustande. „Ich überleg‘s mir.“
Nach Bens einseitiger Verabschiedung, nehme ich zum ersten Mal wahr, wo ich eigentlich bin. Die Altstadt. Von unserem Haus bis hierher sind es bestimmt 10 Kilometer, die ich gelaufen sein muss. Das Neonschild einer Apotheke wirft seine blauen Lichter auf mich.
Eine Glocke erklingt als ich eintrete. „Wie kann ich helfen?“, fragt die Frau hinter dem Tresen. Sie ist ungefähr im Alter meiner Mutter.
Ich räuspere mich. „Einmal die Pille danach, bitte.“
Der verurteilende Blick bleibt aus. Stattdessen lächelt sie verständnisvoll. „Natürlich, Schätzchen. Die Pille ist ein Quantensprung für die Emanzipation der Frau, weißt du?“
Unwillkürlich muss ich schmunzeln. „Ein Januswort. Quantensprung kann ein großer wissenschaftlicher Fortschritt sein oder die kleinstmögliche physikalische Zustandsänderung.“
„Was man heutzutage alles in der Schule lernt“, kommentiert sie und reicht mir eine einzeln verpackte Tablette. „Hier, geht aufs Haus. Versprich mir nur, dass du und dein Freund beim nächsten Mal verhütet.“
„Keine Sorge“, erwidere ich trocken. „Es wird kein nächstes Mal geben.“
Vor der Apotheke drücke ich die unscheinbare Tablette aus ihrer Verpackung und lege sie mir auf die Zunge. Das Licht der Nachmittagssonne blendet mich, als ich den Kopf anhebe und schlucke. Wenn meine anderen Probleme doch auch nur so einfach zu lösen wären.
© Noah Gibriel Koita 2022-08-30