Karambol

Ferdinand F. Planegger

von Ferdinand F. Planegger

Story

EIN GANZES JAHR – XII –

Natürlich gab es in dieser Trinkerheilstätte kein Kaffeehaus. Und natürlich gab es auch keinen plattfüßigen Kellner. Denkbar wäre es gewesen, ähnelte der Freizeitraum mit seiner Wandtäfelung, den zwei Kartenspieltischen und vor allem dem Billardtisch, sehr des Spielsalons meines ehemaligen Stammcafés in Salzburg. Sogar die, zum Zeitungsregal umfunktionierte Garderobenwand glich der vom Café Capucine.

Während ich in Gedanken versunken auf den Billardtisch stierte und mich weit weg in der Vergangenheit verlor, gesellte sich Hanspeter, mein Therapeut und Melanie, die Praktikantin aus Innsbruck, an meine Seite.

„Hey Ferdinand, träumst du?“, fragte Melanie, die mittlerweile mit uns Männern gut zurechtkam, setzte sich auf den ledernen Fauteuil gegenüber und sah mir in die Augen: „Erzähl Mal, Ferdinand, wie geht’s dir so. Ich meine, außerhalb der Arbeit, denn da bist du ja bestens angekommen.“

„Danke, mir geht’s gut.“

„Und du hast kein Heimweh?“

„Natürlich habe ich Heimweh. Ganz ohne kommt wohl keiner aus“, sagte ich. Ich wollte meine Ruhe haben. Wie sollte ich auch den beiden von diesem Film erzählen, der in meinem Kopf zu laufen begann, sobald ich diesen Raum betrat. Der Billardtisch setzte in mir Erinnerungen in Gang, die ich eigentlich vergessen wollte.

Jedenfalls spielten wir Billard in diesem Café, Melitta und ich. Wir spielten Karambol mit einer weißen und zwei roten Kugeln. Ich, ganz Kavalier, begann, doch schon den dritten Stoß vermasselte ich und rechtfertigte mich damit, dass mir eine Haarsträhne ins Gesicht gefallen sei – und mit dem Zigarettenrauch, der meine Augen verschleiert hatte. Melitta nahm mich in die Arme und küsste mich. „Wie wär’s mal mit Haare schneiden, mein Schatz, außerdem rauchst du zu viel.“

Danach war es vorbei mit Streicheleinheiten. Melitta spielte groß auf. Ich kam kaum noch an den Tisch, nahezu fehlerlos spielte sie und zauberte ein unsichtbares Liniengewirr auf den grünen Filz. Jedes Mal, wenn sie sich über den Tisch beugte und die Kugeln längs des Queues anvisierte, wurde ihre Stimme leiser und ihre Stirn legte sich in Falten. Wenn sich der Ärmel ihres Sweatshirts über das linke Handgelenk schob, zeigte sich ihr Glücksbringer, dieses Bändchen aus bunten Wollfäden.

Als Melitta ein letzter Zweibander zum Sieg fehlte und sie sich konzentriert über den Tisch beugte, trat ich hinter sie und ließ mich mit dem Oberkörper auf ihren sinken, ganz behutsam, ganz leicht nur. Ich spürte, dass sie das spürte. Dann glitt ich mit den Händen unter ihr Shirt, küsste sie hinters Ohr und schließlich einigten wir uns auf ein Remis. Mein Gott, wie ich sie liebte. Als wir das Café verließen, war es Nacht. Wir schlenderten Hand in Hand durch den Park, blieben hin und wieder stehen, um uns zu küssen, um uns in die Augen zu blicken und uns anzulächeln. All das, was um uns geschah, war uns egal. Wir steckten in einem Kokon reinsten Glücks.

Und das soll ich einer Therapeutin erzählen? Niemals!

© Ferdinand F. Planegger 2022-02-20

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