Wieder einmal Reminiszenzen. Sie stellen sich automatisch ein, wenn ich, wie jetzt, wochenlang in meinem Elternhaus in Kärnten verbringe.
Schon während des letzten, des 100. Lebensjahres, das Papa bei uns in Graz verbrachte, machte ich Umbaupläne. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber dadurch erleichtert, dass Papa ohnehin nicht mehr wusste, wo er sich befand. Er fragte nur manchmal: Aaah, wo seima mir denn då? Er war mit jeder Antwort zufrieden.
Nun verbringen wir schon 10 Sommer hier und ich denke oft an die beengten Verhältnisse damals. Das Haus war gebaut, um zu vermieten. Die Zimmer klein, um möglichst viele Sommergäste “hineinzubringen”. Wenn es bummvoll war, in den 1960er Jahren von 1. Mai bis 30. September, waren wir insgesamt 16 Personen, 12 „Ausländer“ und wir.
Es war 1958, als wir nur über die Straße vom alten ins neue, baugleiche Haus umzogen. Es war praktisch leer. Mutti erzählte oft, dass genau an dem Tag, als die ersten Gäste aus Deutschland eintrafen, die Möbel für die Fremdenzimmer geliefert wurden. Was für ein Stress für die haushoch überschuldeten, schwer schuftenden, ständig zerstrittenen Eltern!
Im Balkonzimmer, wo ich heute „residiere“, sind am Boden noch die Spuren vom vollen Lackkübel, den der immer besoffene Maler umstieß. Mutti, mit den Nerven am Ende, schrie ihn an. Worauf er meinte: Moser-Mann gutes Mann, Moser-Weibele böööses Weibele.
Zwölf “Fremde” also im kleinen Haus. Papa zog mit uns in den Keller. Betten, eigentlich nur ein paar Bretter, an 3 Wänden stellagenartig aufgestellt. Mutti stellte eine primitive Klappliege im Wohnzimmer auf, die sie um 6 Uhr räumte und den Raum in einen Frühstücksraum verwandelte. Ganz schlimm war Regen. Da kamen alle zugleich aus ihren Löchern, saßen an 62x68cm Tischchen zu viert und warteten auf die reschen Semmeln & Muttis herrlich duftenden Kaffee. Wie Geschirr, Besteck, Semmeln, Marmelade, Butter, Kaffeekanne auf diesem Tischchen, von dem wir nur noch eines besitzen, Platz fand, ist mir heute schleierhaft.
Mit ihrer unverstellten Kärntner Mund-Art und ihrem Witz hat Mutti das Ganze geschaukelt, ohne dass ich je darüber nachdachte wie. Umso mehr denke ich heute daran. Und verstehe, dass sie als Mutter abwesend war und ab eins, wenn das Geschirr abgewaschen war und wir zum See liefen, im kühlen Keller verschwand mit ihrer Liege. Keine Lust auf Sommer, Sonne & Musik. Nur Ruhe!!!
Was ich auch erst viel später verstand: Wie kostbar auch die Stunden waren, 5 jeden Tag, die wir Kinder unbeaufsichtigt am See verbringen konnten. Niemand rief uns hinterher, niemand wollte uns dauernd eincremen, niemand ermahnte uns, den nassen Badeanzug auszuziehen, weil wir uns sonst die Blase verkühlen würden. Ich war ständig im Wasser, ich hatte nur einen Badeanzug, meine Blase war nie verkühlt.
Um sechs mussten wir zu Hause sein. Wenn nicht, dann bekam ich eine Watschn. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Eltern sich doch Sorgen gemacht hatten. Aber erst ab sechs.
© 2021-07-28