Kirschenessen

Ich habe heute einen Teppich gekauft. Na gut: zwei. Ich wusste nicht genau, welcher zu deiner Größe passt. Beide in einem wunderschönen Weinrot mit Musterungen, die sich in der Mitte treffen, nicht dass du sie genauer bewundern wollen wirst. Es war gar nicht so leicht, beide unterm Arm im Bus mitzunehmen, aber für dich würde ich fast alles tun.

Kommen wir zum Grund des Teppichekaufens. In drei Tagen sind wir zum Kirschenessen verabredet. Es hieß, du bringst welche aus deinem eigenen Garten und ich besorge … andere und dann gucken wir, welche besser sind. Einfach und trotzdem genial findest du nicht auch? Wir treffen uns dafür bei mir, deshalb bin ich gerade dabei, mein Zuhause ein wenig aufzuhübschen. Ich geb es nicht gerne zu, aber ich tendiere doch oft zu Hempels und diesen Eindruck möchte ich nicht bei dir lassen. Also heute Teppich kaufen, morgen Aufräumen, übermorgen Feinputz und schon klingelt es an der Tür.

Voller Vorfreude kicke ich das letzte Paar Schuhe zu den anderen in den Schrank und öffne dir mit einem breiten Grinsen. Du schüttelst mir die Hand, ich nehme Jacke, Kirschen und den Roten, den du zufällig noch in deinem Schrank gefunden hast, in Empfang und bitte dich ins Wohnzimmer. Meine Kirschen sind schon auf dem dortigen Tisch angerichtet. Kurz nach dir folge ich mit den deinigen in einer schöneren Schüssel, dem Roten und zwei Gläsern.

Doch bevor wir beginnen, musst du erneut auf das Vorkommnis von vor zwei Wochen zu sprechen kommen, ärgerlich. Da wirft man einmal nicht den Joghurtbecher getrennt von seinem Papierumhang in den richtigen Mülleimer und schon kriegt das so einen Bart. Ich würge dich deshalb gekonnt ab, so hatte ich mir den Nachmittag nicht vorgestellt und biete dir ein Glas Roten an, welches du gerne annimmst. Wir beginnen mit deinen selbst gepflückten Kirschen und wechseln thematisch in die Rubrik richtige Züchtung von Rosen. Deine Kirschen sind vorzüglich, ich gebe es ja zu, ein Händchen für Kirschen hast du, aber dein zufriedenes Grinsen darauf schon wieder! Als hättest du dir schon die Letzten drei Tage deinen Triumph über meine Kirschen ausgemalt und die passende Mimik dazu einstudiert.

Bei meinen Kirschen angelangt, bediene ich mich zuerst von den oberen und reiche dir eine der Kirschen aus der unteren Hälfte der Schale. Dein und mein Verdacht bestätigt sich, meine schmecken zu säuerlich und wässrig im Vergleich zu deinen saftig Süßen. Ein gehässiges Lachen fällt dir aus dem Hals und schwillt immer weiter an, bis du zum ersten Mal Husten musst, heftig und immer heftiger. Wie tragisch. Jetzt bin ich an der Reihe zu lächeln. Hatte ich mir doch schon gedacht, dass mit dir nicht gut Kirschen essen ist.

Bevor die ersten Blutstropfen mit Speichel vermischt auf meiner Tischdecke landen, halte ich dir ein fein beträufeltes Taschentuch vors Gesicht und helfe dir auf den Teppich. Der zuerst gekaufte war tatsächlich das richtige Augenmaß. Den anderen kann ich mir eh viel besser als Tischunterläufer vorstellen.