Klare Ansage

Kris Wells

von Kris Wells

Story

Zwielicht taucht den Raum in purpurne Schatten. Die Sonne hängt tief am Horizont. Es ist eisig, die Wände atmen Kälte. Alter Qualm hängt in der Luft. Kohlengase. „Der Ofen zieht nicht richtig“, sagt Martin entschuldigend, „und der Heizlüfter ist kaputt.“ Er zündet eine Zigarette an und lässt sich in den abgeschabten Sessel fallen. „Scheiß-Winter.“
Julia bleibt stehen, sie starrt aus dem Fenster. „Wir müssen reden“, sagt sie. Ihre Kehle ist eng.
„Echt?“ Er bläst den Rauch durch die Nase. „Worüber willst du reden?“
Sie hört, wie er aufsteht. Ein Klappern, Glas gegen Glas. Er schenkt sich Wein ein. „Willst du auch was?“, fragt er in ihrem Rücken.
„So lange bleibe ich nicht.“
„Von mir aus.“ Er sinkt zurück in die Polster und streckt die Beine aus.
Das Schweigen zieht sich in die Länge. Sekunden, Minuten, endlos. Unerträglich. Mit einem Ruck dreht sie sich um. „In unserer Beziehung läuft was falsch“, stößt sie hervor.
„Echt?“, fragt er. „Wir haben ’ne Beziehung?“
„Oder Affäre, was weiß ich! Mir egal, wie du das nennst. Ich dachte jedenfalls, es wäre ’ne Beziehung.“
„Ja, was ist damit?“ Seine Stimme klingt teilnahmslos, fast schläfrig. Vermittelt ihr das Gefühl, sich wie eine hysterische Ziege aufzuführen.
Sie schluckt, sie beißt sich auf die Lippen. Jetzt bloß nicht in Tränen ausbrechen. „Was haben wir denn, deiner Meinung nach? Wenn’s keine Beziehung ist? Ne Fickromanze vielleicht?“ Sie wird immer lauter. Wut hilft gegen Tränen.
„Keine Ahnung.“ Er drückt die Zigarette aus und trinkt vom Wein.
„Wir verabreden uns, wir gehen essen, verbringen die Nacht miteinander. Und am nächsten Tag habe ich keine Ahnung, wie es weitergeht. Was weiß ich, ob wir uns noch mal sehen? Ich weiß nicht mal, ob du das überhaupt willst.“ Sie schüttelt den Kopf. „Das macht mich fertig.“
„Was macht dich fertig?“
„Herrgott…“, sie holt tief Luft und hebt die Hände. „Ich will einfach wissen, was los ist. Ich hab’ mich in dich verliebt, oder…“
„Willst du nicht doch was vom Wein? Der ist gut.“ Er angelt ein zweites Glas vom Regal.
Julia betrachtet das Filmplakat neben ihm an der Wand. „Hör mal“, setzt sie neu an, „ich wollte mit dir reden.“
„Wir reden doch.“ Er deutet auf ihr Glas. „Trink deinen Wein, sonst wird er kalt.“
Julia unterdrückt das Bedürfnis zu lächeln. „Nein, über unsere Beziehung reden.“
Aber vielleicht will er nicht reden. Vielleicht gefällt es ihm so, wie es ist. „Also, was denkst du?“ Sie hat sich vorgenommen, nicht ohne Antwort von hier wegzugehen. Sie will ihn sagen hören, dass die Sache beendet ist. Oder eigentlich nicht. In Wahrheit hofft sie, dass er etwas ganz anderes sagt. Dass alles in Ordnung ist. Dass er so verliebt in sie ist, wie sie in ihn.
Martin zuckt mit den Schultern. „Ich denke, dass du echt süß aussiehst, in dem Licht.“
Ihr Widerstand bricht. Alles wird gut, denkt sie. Er wird es nicht beenden. „Ich meine das ernst mit dem Verlieben.“ Ein letzter Versuch, ersterbende Stimme. „Das ist ein schmaler Grat.“
Seine Lippen schmecken nach Rotwein. Und seine Bartstoppeln kratzen. Aber nicht sehr.
„Was ist jetzt mit Reden?“, murmelt sie, in einer kurzen Atempause.
Martin lehnt sich ein wenig zurück und nimmt die Brille ab. „Wir könnten ins Bett gehen“, schlägt er vor, „da ist es nicht so scheißkalt.“

© Kris Wells 2024-02-22

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Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig
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