von Anika Nitsch
„Gute Erinnerungen sind meine Sonne. Sie halten mich über der Wasseroberfläche und sorgen dafür, dass ich nicht ertrinke. Sie sind immer da, auch wenn der Nebel sie manchmal versteckt.“ – Sonnengedanke
Mein Kopf ist voll mit Gedanken, die ich nicht aussprechen möchte. Sie ziehen durch mich hindurch wie Nebel. Wenn sich der Nebel verdichtet, kommen die Schmerzen. Mein Brustkorb zieht sich zusammen, mein Herz rast, Übelkeit überkommt mich. Und mein Kopf brennt. Es sind keine körperlichen Kopfschmerzen, wie wenn man zu lange vorm Laptop saß oder verkatert ist. Psychische Schmerzen sind nicht mit körperlichen vergleichbar – es ist, wie Matt Haig es so treffend formuliert hat, Feuer im Kopf.
Es tut so weh, dass ich nicht mehr weitermachen kann, ich kann nur noch weinen vor Schmerzen und Hilflosigkeit. In diesen Minuten oder Stunden fühlt es sich an, als würde es nie wieder aufhören. Dieses Gefühl hatte ich in den letzten zehn Jahren so oft, dass es schwer ist, die Perspektive zu bewahren.
Dann wieder gibt es Momente, in denen sich der Nebel lichtet.
Vollkommene Klarheit.
Alles wird leichter.
Ich frage mich, was das war, das mir die Sicht genommen hat, warum es überhaupt da war. Wenn ich nur wüsste, wie ich die Gefühle der Klarheit festhalten kann. Ich denke, dass es doch gar nicht schwer ist, positiv zu denken, und dass es jetzt vielleicht für immer so bleiben wird – erfüllt von Sonne. Doch daraus ist bisher nichts geworden.
Wenn sich der Nebel lichtet, bin ich vorsichtig, weil ich nicht weiß, wann er sich wieder verdichtet. Mir fällt es schwer, die Sonnentage zu genießen, da ich immer damit rechne, dass sie bald wieder vorbei sind. Ich versuche ständig, einen Weg aus dem Nebel herauszufinden, der Sonne entgegen. Dieser Weg scheint jedoch ein riesiges Labyrinth zu sein.
Sich selbst positive Gedanken machen, ist wahrlich eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt. In meinem Fall erleichtern mir die äußeren Umstände die Bewältigung dieser Aufgabe, sie sind meine Sonnenstrahlen im Nebel: Freunde, Familie, finanzielle Sorgenfreiheit, körperliche Gesundheit.
Man sieht: Mit psychischen Krankheiten ist es so wie mit Krebs – es kann jeden treffen, egal in welcher Lage sich die Person befindet.
Wichtig ist nur, weiterzumachen, dem Nebel keine Chance zu geben, das Sonnenlicht für immer zu verdecken. Das klingt so leicht, wenn man es in einem Satz liest, aber nur die, die den Nebel kennen, wissen, was es bedeutet, aus ihm herauszufinden. Man kann daran verzweifeln, denn auch den echten Nebel kann man nicht einfach loswerden, indem man ein wenig pustet. Es gilt Berge zu finden, die man mühevoll besteigen muss, um wieder zur Sonne zu finden.
© Anika Nitsch 2022-08-19