kleines Tor zur Welt

Marlene Baumgartner

von Marlene Baumgartner

Story

Mein Körper wollte sich einfach nicht erholen. Seit einer Woche hatte ich bereits mit den Auswirkungen einer Lebensmittelvergiftung zu kämpfen. Meine finnische Kompanin hatte es nur leicht erwischt, sie reiste weiter Richtung Hauptstadt. Eine 20-stündige Busfahrt bei den gegeben Straßenverhältnissen in meinem Zustand undenkbar. Mir blieb also kaum was anderes übrig, als zu bleiben, mir ein besseres Hotel zu suchen und mich gründlich auszukurieren.

Nach einer stärkenden Portion Elektrolytemischung aus der örtlichen Pharmazie – eine Pulvermischung, an deren Beerengeschmack ich mich noch gewöhnen musste – startete ich auf wackligen Beinen meinen Rundgang.

Surkhet ist eine Stadt im mittleren Westen Nepals. Nicht viele Touristen verirren sich hierher und wenn, dann nicht lange. Es ist eher Basis für freiwillige HelferInnen in den verschiedenen NGOs, die hier stationiert sind. Die Auswahl an Hotels war nicht groß und meine Ansprüche höher als sonst: Ich wollte ein großes, weiches Bett, gutes Internet und einen Fernseher, ein schön verfliestes Bad mit Warmwasser, eine nette Aussicht und Angestellte, die nicht nur meine paar Brocken Nepali, sondern auch Englisch verstanden. Der Preis war mir ziemlich egal, aber da ich zusicherte, eine ganze Woche bleiben zu wollen, bekam ich einen guten Deal. Vielleicht lag es auch daran, dass man mir ansah, wie schlecht es mir ging? Jedenfalls fand ich mich eine Stunde später und zwei Stockwerke höher in dem bequemsten Bett wieder, in dem ich in Nepal je geschlafen hatte. Die Sorge der Angestellten war rührend, sie erkundigten sich jeden Tag aufs Neue, ob und was ich essen wollte und brachten mir Tee und eine englische Kathmandu Post an die Tür.

In der Kleinstadt hatte sich nämlich rumgesprochen, dass eine junge Europäerin auf der Suche nach einer englischen Zeitung gewesen war. Ich hatte mich am Basar diesbezüglich erkundigt. Englische Zeitungen fand man in Kathmandu und den Touristenzentren des Landes leicht, hier war das schon schwieriger und ich wurde von einem Shop zum nächsten verwiesen. Beim Überfliegen der Zeitungsständer nur Sanskrit, keine vertrauten Schriftzeichen in Sicht. Ich war müde und etwas betrübt umgekehrt, als ein paar Minuten später plötzlich ein Motorrad direkt neben mir hielt: „You are looking for newspaper?“

P. war einer der Inhaber der Shops, in denen ich mich gerade durchgewälzt hatte, seine Angestellten hatten ihm von mir berichtet, da war er mir nachgefahren und hatte „die Ausländerin“ schnell gefunden. Gastfreundschaft wird in Nepal groß geschrieben. So nahm er mich mit zu einem Buchladen, der als Einziger in Surkhet die Kathmandu Post auf Englisch verkaufte und lud mich auf eine Tasse Tee ein. Er war in dieser Provinz aufgewachsen und beantwortete mir viele Fragen zum Leben im westlichen Hügelland. Abends ging ich glücklich mit meiner Zeitung zum Hotel. Ich hatte ein kleines Tor zur Welt gefunden, eigentlich gleich zwei.

© Marlene Baumgartner 2020-05-15

Hashtags