Knecht des Smartphones

Peter K. Wagner

von Peter K. Wagner

Story

Tot. Also zumindest mehr tot als lebendig war mein iPhone seit Anfang des Winters. Also habe ich an ein neues Wunderwerk der Technik gedacht. An eines dieser Smartphones, die mir oft geholfen haben, die mich aber noch öfter in ihren Bann gezogen. So sehr, dass ich manchmal die Bilder betrachte, die ich mit ihnen geschossen habe und mich frage, ob ich bei der Aufnahme der Fotos denn wirklich dabei war.

Das wollte ich mich aber nicht mehr fragen. Ich trete zurück aus der Welt des Smartphones. Kein neues Smartphone, mich zu knechten. Mein neuer Begleiter wird gerne »Entwicklungsland«-Handy geschimpft. Er kostet vertragsfrei 25 Euro, hat Tasten, einen Musikplayer und eine Taschenlampe, aber keinen Touchscreen, keine Kamera, kein GPS und keine Internetfunktion.

Zwei Wochen sind vorbei. Ich kommuniziere weiterhin viel, ich habe nicht aufgehört zu arbeiten, aber ich habe noch kein Projekt verloren, weil ich seltener E-Mails lesen kann. Ich arbeite ganz im Gegenteil unmittelbarer und konzentrierter. Ich chatte nicht mehr, weil das per SMS zu mühsam ist. Und ich schreibe weniger. Kanäle wie WhatsApp sind einfach versiegt. Ich greife wieder öfter zusätzlich zu Zeitungen und Magazinen. Wenn ich einen Weg nicht kenne, recherchiere ich am Abend davor den Fußweg sowie die Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr und schreibe beides in ein Notizbuch. Ich bin entspannter als früher, weil mir mein GPS nicht Sicherheit und Orientierungssinn nehmen. Und wenn ich mich nicht auskenne, lasse ich mich von Menschen beraten. Von richtigen, nicht von denen, die in irgendeinem Forum irgendwann irgendwelche Tipps gegeben haben.

Und ich genieße. Zum Beispiel diesen Blick in die Ferne, die Symmetrie der Bäume, die friedliche Stimmung auf dieser Allee. Ich genieße Momente meines Lebens, ganz ohne sie fotografieren zu müssen. Ich speichere sie einfach auf meiner eigenen Festplatte ab. Und ich sitze im Zug, der mich nach Hause in meine Stadt bringt. Mein Mobiltelefon hat vor zwei Tagen seine letzte bewusste Kollision mit einer Steckdose erlebt und ist noch immer aktiv. Ich ziehe es aus der Tasche. Nicht zur Unterhaltung in diesem gefühlten Moment der Langeweile — sondern nur für einen kurzen Augenblick, um die Uhrzeit festzustellen: 23:46 Uhr. Ich schau in das Abteil, die Menschen um mich herum starren auf ihre Screens.

Ich schreibe für sie alle diese Zeilen. Für diese Menschen, die in meiner noch immer völlig überkommunikativen Welt fast tot wirken. Tot — mehr oder weniger. So wie mein iPhone seit Anfang des Winters. Und ich nehme wahr, dass ich viel lebendiger bin als sie. Und dann klappe ich meinen Laptop zu. Und frage mich, was sie seit der Abfahrt vom Bahnhof über mich gedacht haben. Über diesen Mitreisenden, der zweieinhalb Stunden vertieft in seinen Laptop war. Einer wie wir, werden sie sich gedacht haben. Auch nur einer wie wir.

Ja eh, antworte ich ihnen. Aber immerhin kein Knecht des Smartphones mehr.

© Peter K. Wagner 2021-03-26