Seit nicht allzu langer Zeit habe ich einen kleinen, um nicht zu sagen winzigen Freund. Er tauchte unvermutet auf, und ich traute zunächst meinen Augen nicht. Doch, doch, meinte er, ich bin einer von meiner Gattung.
Normalerweise lebe ich im Tann, ich liebe Reisig, erklärt er mir und mit Menschen habe ich gar nichts auf meinem spitzen Hut. Ich lache, er sieht fast lächerlich aus damit und wenn er sich nach vorne beugt, verformt er sich zu einem kleinen Pickel, er müsste nur noch hämmern. Allerdings benimmt er sich würdig und das nimmt ihm die groteske Spitze. Aber dich mag ich, meint er, weil du eine umsorgende Art hast und alles liebst, was dich umgibt, das macht mich fröhlich und entspannt.
Er ist ein Einzelgänger, kümmert sich ausschließlich um sich selbst, was mir zu denken gibt. Wenn sich jede Kreatur um sich selber kümmerte, gäbe es kein Gwirx, habe ich einmal gehört und für richtig befunden. Trotz seiner Kleinheit ist er raumfüllend und behauptet seinen Platz mit dem Selbstbewusstsein eines Frisurträgers, der mit dem Höchsten verbunden ist. Er dürfte sehr begabt sein, über sein Betätigungsfeld hinauswachsend und neues Terrain erobernd, und auch hellseherisch. Er weiß, wo ich bin, wann ich erscheine, und nimmt es vorher schon wahr. Was nicht selbstverständlich ist, weil ich nie zu einer geplanten Uhrzeit auftrete. Mir kommt fast vor, dass er erscheint, sobald ich an ihn denke.
Seine Stimme ist unverkennbar, sehr hoch und ungewöhnlich. Nie zuvor hatte ich eine derartige Stimme gehört. Sie und die schmeichelhaften Beobachtungen über mich rinnen wie Öl meine Kehle hinunter. Er behauptet, dass ich nie einer Aufgabe ausweichen würde, wenn sie fürs Leben notwendig und unterstützend sei. Alles sei zubereitet, gepflegt und schön angerichtet. Meine leise Musik gefällt ihm, und wenn ich wieder einmal hektisch werde, nimmt er es gelassen, entfernt sich etwas von mir und wartet ab. Er bleibt im Garten, den er offensichtlich liebt. Er fühlt sich wohl in dem ziemlich wilden und natürlich Paradies für die kleinen, manchmal sogar unsichtbaren Wesen.
Heute ist Sonntag, ich wandere in meinen Wohnbereich und sehe mich überwältigt einem wunderschönen Herbsttag gegenüber. Goldene Sonne erstrahlt über plötzlich verfärbtem Laub, wegen der nächtlichen Kälte nahe dem Nullpunkt, in Gelb- Rot- und bräunliche Töne getaucht, ein entflammter Garten! Hinter meinen Terrassenfenstern erblicke ich ein Paradies. Schönheit pur!
Da bewegt sich etwas tänzerisch auf meinem alten Steintisch. Die runde Fläche ist eine perfekte Bühne, für wen? Der Spitzhutträger ist in seinem Element! Er hat sich extra zu meiner Freude eine Choreografie ausgedacht, die mich verzaubert. Der Solotänzer nimmt Kontakt auf zu mir und produziert sich. Er zeigt, wer hier das Sagen hat, und fegt trotz seiner Winzigkeit alle Konkurrenten aus der Bahn. Dabei singt er mit seiner hohen Stimme wie eine Tuaregfrau in der besten Emotion.
Mein süßer Kobold ist eine Haubenmeise!
© Barbara Riccabona 2021-10-24