von Daniela Noitz
„Mens sana in corpore sano“, bemühen wir mal wieder den Lateiner, den wir doch sonst nicht brauchen, weil wir ihn für überflüssig halten. Bloß da, wo wir uns genötigt sehen und zu rechtfertigen, warum wir solch einen Kult um unseren Körper bauen, da soll er uns denn doch Schützenhilfe leisten, denn Autorität hat er ja, weil er so alt ist und so oft zitiert, wenn wir Millionen für Kosmetikartikel ausgeben und wohl ebenso viele Tiere eines qualvollen Todes sterben lassen, die wir dann ein kleines bisschen bedauern, wenn sie uns als bemitleidenswerte Geschöpfe auf Facebook oder sonst wo präsentiert werden, wenn wir in Botox und Schönheitsoperationen, in Fitnessstudios und Personal Trainier, in den Yoga-Kurs und den großen Weisheitslehrer, der eigentlich Karl heißt und aus Meidling stammt, um vom Heurigenbankerl weg in die höheren Weihen berufen zu werden, investieren, dann kommt uns der Lateiner doch gerade recht. Überhaupt hat so ein altes Zitat in sich schon die Attitüde einer unbestreitbaren Wahrheit.
„Mens sana in corpore sano“ wird da in weinseliger Stimmung zitiert. Kurz noch wird darüber nachgedacht, ob die Endungen stimmen, ein angstvoller Blick in die Runde, ob nicht doch da einer sitzt, der in der Lage ist diese verdammten Deklinationsendungen zu überprüfen. Oder waren es die der Konjugation? Wie auch immer, niemand ist da, der sein Veto einlegt, niemand, der nicht in schweigende Andacht verfiele, weil es jemanden an diesem Tische möglich ist zu dieser vorgerückten Stunde und Laune noch einen solch bedeutungsschwangeren Satz hervorzubringen. Der eine oder andere schweigt wohl auch, weil er heimlich das Handy aus der Tasche zieht um schnell mal zu googeln, was denn dieser Satz bedeuten könnte, der alle erschauern lässt. Nur verdammt, wie schreibt man das? Der alte Lateiner ist doch noch immer ehrfurchtsgebietend.
„Mens sana in corpore sano“ wird landauf landab propagiert, und in den schweinsbratengefetteten Gesichtern macht sich ein verklärtes Lächeln bemerkbar, ein cholesteringeschwängerter Blick auf das vermeintliche Selbst, das man einmal war, damals, muskulös und Waschbrettbauch, und ja, dort kommt man auch wieder hin, morgen vielleicht oder übermorgen, denn wir wissen ja alle Bescheid, wissen wie das auszusehen hat, wie wir auszusehen haben, nach Idealmaß. Nicht mehr vom Schneider, sondern von der Stange wollen wir sein, einheitlich, uniform. Mit Worten Aufgeklärtheit und Individualismus heuchelnd, wird mit Taten alles daran gesetzt, gleich zu sein, in allem, angepasst und entpersönlicht.
„Mens sana in corpore sano“ lehrt uns die Unversehrtheit eines Körpers, der die Individualität des Geistes spiegelt, ein Kunstwerk, das nicht ständig nachgebessert werden muss, sondern, das aus sich wirken und gelten dürfen, muss. Dabei hat der Kunstkörper den Körper als natürliches Kunstwerk schon längst überlagert, das hingetrimmte Stück Fleisch weiß sich zu rächen, und geht unter in der Masse der Verbrauchsartikel, die ebenso entsorgt werden, wenn sie nicht mehr völlig entsprechen, dem der Geist entflieht, weil er nicht mehr in einem Individuum wohnt, sondern in einem unbestimmten, bedeutungslosen Einerlei aus Vorstellungen und Vorgaben, künstlicher Geist in einem künstlichen Körper, statt lebendiger Geist im Kunstwerk Mensch.
© Daniela Noitz 2024-02-11