von SteffiW
Die schneebedeckten Berge entlang der Yakutat Bay im Südosten Alaskas liegen im gleißenden Licht der Morgensonne. Der Himmel ist strahlend blau. Ich schließe für ein paar Sekunden die Augen, spüre die kalte, klare Luft auf meiner Haut und bilde mir ein, das Eis zu riechen.
Während unser Schiff sacht dahingleitet, genieße ich den Anblick des imposanten Hubbard Gletschers vor uns. Wie ein weißes Band schlängelt er sich zwischen den Bergen hindurch hinunter zum Wasser. Auf der spiegelglatten Wasseroberfläche treiben Eisschollen, die im Sonnenlicht türkisfarben schimmern. Auf einer der Schollen dösen Seelöwen in der Morgensonne. An dieser idyllischen Szenerie kann ich mich kaum satt sehen. Sie wirkt beruhigend, die Hektik des Alltags ist vergessen. Ich bin entschleunigt. Selbst der Naturforscher an Bord gerät ins Schwärmen: Solch einen herrlichen Tag gäbe es nur ein oder zwei Mal in der Saison.
Langsam gleitet das Schiff näher und näher an die mächtige Abbruchkante heran. Sie baut sich wie eine unüberwindbare Wand vor uns auf. Erst beim Abstand von ungefähr einer halben Meile stoppen wir. Aus dieser Entfernung kann ich die Strukturen des Eises gut erkennen. Die gezackte Oberfläche erinnert an unzählige aneinandergereihte kleine Türme, alle unterschiedlich geformt. Risse und Spalten durchziehen den gesamten Gletscher. Manche Risse sind so groß, dass ich jeden Augenblick damit rechne, ein riesiges Stück Eis würde herausbrechen und mit einem Knall ins Wasser fallen.
Plötzlich ein lautes Krachen. Ich zucke zusammen. Dann dumpfes, bedrohliches Grollen. Es erinnert an den Donner eines Gewitters. Gespenstisch. Zuerst die Stille der Abgeschiedenheit, jetzt die hörbaren Bewegungen des Eises. Unglaublich und faszinierend zugleich.
Kurz darauf kalbt der Gletscher: Eisbrocken brechen heraus und stürzen ins Wasser. Die entstehenden Wellen lassen unser Schiff sanft schaukeln. Unvorstellbar, dass Bruchstücke in der Größe eines zehnstöckigen Hauses abbrechen können! Ebenfalls kaum vorstellbar, dass das Eis an der Abbruchkante durchschnittlich 400 Jahre alt ist. Mir wird bewusst, wie klein der Mensch in dieser gigantischen Natur ist.
Wenig später ist die Wasseroberfläche wieder spiegelglatt und der Gletscher reflektiert im Wasser. Nachdem wir uns gedreht haben, erblicke ich vor uns ein großes Feld unzähliger kleiner Eisstücke. Sie glitzern im Sonnenlicht wie ein Meer von Diamanten.
Als wir abdrehen und durch die Yakutat Bay zurück fahren, bin ich von der großartigen Natur Alaskas, von der Weite und Unberührtheit schier überwältigt und voller Vorfreude, welche Erlebnisse der nächste Tag bringt.
© SteffiW 2021-02-14