von Margaretha Husek
Nach einer längeren Regenperiode wanderten wir diesmal in die Wachau. Treffpunkt war der Franz Josefs-Bahnhof. Florian Haslinger, ein neuer Wanderbegeisterter, schloss sich unserer Gruppe an. Neugierig beäugte der Knickerbocker-Kurt den Frischling: „Florian? Wer in Österreich so heißt, ist zumindest bei der Freiwilligen Feuerwehr. Stimmt’s?“ Walter, der Bankangestellte, kam mit gefaschtem Daumen. Er gab sich geheimnisvoll: „Letzte Nocht war a schware Partie fia mi.“ Florian und Walter kannten sich.
Durch den Herrenwald wanderten wir den Pfad hinauf zu der Ruine Aggstein. Der magische moosige Boden zog mich an. Die Erfahrung machte ich schon am Schimmelsprung und am Weißen Stein im Wienerwald.
„Weiß man schon, wann endlich wieder eine Eiszeit kommt? Ich mag die Hitze nicht!“ Florian, der bei einem Technologieunternehmen beschäftigt war, tupfte sich die Stirn ab. „Wir bräuchten einige Lehrlinge“, wechselte er das Thema. „Was ist mit euren Enkelkindern?“
„Und Flüchtlinge nehmt ihr auch auf?“, fragte Kurt.
„Ja, auch.“
„Lehrling! Flüchtling! Das Gros der Wörter mit der Endung -ling hat einen negativen Beiklang. Wie zum Beispiel Eindringling, Feigling, Fiesling, Häftling, Widerling, Sonderling“, meinte Walter.
„Genau! Jedes Mal, wenn ich meine bessere Hälfte ‚Du, Liebling?‘ rufen höre, weiß ich, dass unangenehme Arbeiten auf der Tagesordnung stehen“, scherzte Kurt.
„Schönling“, fiel mir noch spontan ein. Mit dem frühkindlich antrainierten Reflex freudiger Erwartung reagierte ich, je näher wir zur Ruine Aggstein kamen. Der erste Blick fiel auf ein paar verdorrte Brombeerstauden, die verdornt über Wurzeln und Gräser an der Außenanlage wuchsen. Spinnweben wiegten sich sanft in den Ecken des alten Mauerwerks. Schmetterlinge tanzten und glänzten in den Weinbergen. Es war ein erhebendes Gefühl von hier oben, das Strömen der Donau, die glänzte und schillerte und die Spiegelung des Himmels im Wasser zu betrachten. Ein Donnergrollen überraschte uns. Über morsche Baumstände und moosig überzogene Gesteinsbrocken schritten wir flotten Schrittes abwärts. In einem großen Gastgarten durchschnauften wir. Er war ein Refugium, in der Stress und Lärm keinen Eintritt hatten. Ein plätschernder Brunnen hieß uns willkommen. Mit Blumen bestückte Hochbeete sorgten für bunte Tupfer. Große Abstände zwischen den Tischen gewährten uns viel Raum und eine mit wildem Wein bewachsene Pergola verbreitete grünes Zimmerfeeling. Im Schatten uralter Kastanienbäume und ein noch älterer Maulbeerbaum, die das Sonnenlicht sachte filterte, ließen wir uns nieder. Wir bestellten bodenständige Kost. Dazu wählten wir einen Riesling.
„Und was ist mit Riesling? Auch ein negativer Beiklang?“, fragte ich Kurt, als wir uns zuprosteten.
„Der ist positiv konnotiert!“, schmunzelte er, schnalzte mit der Zunge und schob die Luft durch die Zähne.
© Margaretha Husek 2020-06-06