von neli
Alles rennet, rettet, laufet.
Alles raffet, gieret, kaufet.
„Bist du schon in Weihnachtsstimmung?“, ist die Frage, mit der man mich aufs zu tiefste vergrämen kann. Mir graut vor Weihnachten schon ein halbes Jahr vorher. Nämlich dann, wenn die Sommerferien noch nicht einmal zu Ende sind und die ersten Spekulatius und Lebkuchenpackungen vor den Kassen postiert werden.
Mir ist der Zauber abhandengekommen im Konsumwahn, der die scheinbar nicht endenden wollende Schleife ungezügelten Wirtschaftswachstums befeuert, in der Zwanghaftigkeit eines vorgegaukelten heilen, heiligen Weltbildes.
Was war denn los damals? Ein Mann im weißen Nachthemd mit Flügeln! auf dem Rücken hat einer Minderjährigen verkündet, dass sie schwanger wird. Woraufhin sie sich mit einem wesentlich älteren Mann, dem sie das Kind elegant unterjubelt, auf den Weg macht in eine andere Gegend, um dort gehörig einzufahren in Sachen Unterbringung etc. Schlussendlich liegt das Neugeborene im Stroh, flankiert von allerlei Getier und dem ortsansässigen Proletariat (Hirten). Irgendwann tauchen dann sogar noch drei Kerle, die einem Stern hinterher halluziniert sind, mit ominösen drogenfahndungsverdächtigen Geschenken auf. Halleluja.
So in etwa würde ich Weihnachten symbolisch umreißen, wenn …
Wenn nicht eine Schneedecke ihren Zauber von Reinheit, Unversehrtheit und Glanz auf die Welt legte. Selbst, wenn man den Winter nicht mag, aber in der Sonne glitzernde Schneekristalle machen fröhlich. Verdecken Schmutziges, Belastendes, lassen für kurze Zeit glauben, es hätte dies alles nicht gegeben.
Wenn es nicht einen Lorenz Maierhofer mit seiner wunderbaren CD „Mein Dezember“ gäbe. Tiefsinnige Texte, traumhafte Stimmen, hundertmal gehört und jedes Mal wieder fährt es mir ein bis ins Mark. Hilft, die verloren geglaubte Weihnacht in mir, zumindest ein stückweit, wiederzufinden.
Wenn nicht in diesen Tagen die Gitarre greifbar im Wohnzimmer stünde, und mein Liebster und ich singender weise Zeit miteinander verbrächten. Aus musikalischer Sicht objektiv nicht berauschend, aber bewusst, freudig, intensiv und erfüllend.
Wenn nicht die Vorfreude auf das Strahlen im Gesicht „unseres“ Straßenzeitungsverkäufers vor dem Hofer wäre. Er bekommt den alljährlichen, in ein Kekspaket verpackten Schein, mit dem er seinen Zwillingen in Rumänien Geschenke machen kann, die sonst nicht möglich wären.
Wenn nicht der Duft von Weihrauch – klärend, reinigend, Gedanken beflügelnd dazu beitrüge, die Kerze in mir zu entzünden, die die Ahnung aufleben lässt, dass sich Großartiges zugetragen haben muss, damals vor über 2000 Jahren.
Wenn die Flucht gelingt, die Flucht vor sinnentleerten Ritualen und grellem Konsumgeschrei – dann ist Berührung möglich.
Wenn Berührung Bewegung passieren lässt. Bewegung vom Lauten zum Leisen.
Wenn die Stille laut wird und im dunkelsten aller Monate verkündet vom Licht – dann wird es auch für mich Weihnachten.
© neli 2022-12-15