von MISERANDVS
Zeitlebens war ich auf der Suche nach der Liebe, also nach DER Liebe. Nach der ultimativen Liebe. Bei den Klassikern hatte ich von ihr gelesen, und es erschien mir unlogisch, dass es sie nicht geben, dass sie reine Phantasie sein sollte. Was allgemein als Liebe galt, war mir zu wenig. Ich lebte sie, diese “normale” Liebe, und ich hätte glücklich sein müssen. Ich war es nicht. Die Frauen an meinem Herzen waren wunderbare Menschen. Doch immer empfand ich – bei aller Liebe – diese unerfüllte Sehnsucht. Ein Teil meines Herzens blieb immer leer.
Wenn ich über die Liebe sprach, dann sahen sie mich schweigend an. Und in ihren Augen las ich Verzweiflung. Allein, meinen Beschreibungen zu folgen, was ich dachte, wie intensiv, wie mitreißend, wie atemberaubend auf allen Ebenen Liebe sein müsste, überforderte sie. Die Art, wie ich sie liebte, ebenso. Manchen machte meine Liebe sogar Angst. Meine Liebe wollte gedeihen, wollte sich entwickeln, wollte sein, wo Liebe unbekannt war. Und ich wollte, dass sie mir zu dieser Liebe folgten, dass wir uns dort gegenseitig fordern und fördern und gemeinsam eine ganz neue, eine noch wunderbarere Liebe entdeckten, die niemand außer uns kannte. Es erschreckte sie, weil sie es nicht verstanden. Weil sie spürten, dass in dieser Liebe Verhängnis lag, weil diese intensive Liebe alles verlangen würde, weil es bedeutete, so sehr zu vertrauen, dass wir beide uns aufgeben müssten, um einander neu zu erschaffen.
“Ich weiß, dass ich dir nicht genüge. Dass meine Liebe dir nicht genug ist.”, sagte einmal eine von ihnen zu mir, und es brach mir das Herz, zu hören, wie verzweifelt sie deswegen war. Alles hätte ich in diesem Augenblick gesagt, um ihr zu widersprechen, und alles wäre gelogen gewesen. Als sie den Teller nach mir warf, schrie sie: “Ich will dich besser lieben, ich will es so sehr, aber ich weiß nicht wie!” “Herrgott, ich weiß das!”, hab ich sie angebrüllt, hab sie an mich gezogen, während sie heulend auf mich eingeschlagen hat. “Wieso kann ich dich nicht so schön lieben, wie du mich? Wieso muss ich erleben, dass ich so … ungenügend bin, wie ich mich auch bemühe?” Sie war eine wundervolle Partnerin, war alles, was sich ein Mann wünschen kann. Aber meine unerfüllte Sehnsucht nach mehr Liebe und ihr verzweifeltes Streben, mir diese Sehnsucht zu erfüllen, würde sie zerbrechen. Ich musste fort von ihr.
Als Lydia in mein Leben trat, trug sie dieselbe Sehnsucht im Herzen wie ich. Sie fürchtete sich nicht vor der Übergewalt meiner Liebe. Sie betrank sich gierig an ihr, tauchte voll Genuss gänzlich darin ein. Und sie nahm mich an der Hand, zeigte mir ihr Universum aus Liebe, das so herrlich, so gewaltig, so unendlich und schön war, so fordernd, so verzehrend, so unbegreiflich. Endlich fühlte ich mich angekommen. Wir liebten einander mit allen Sinnen, komponierten in jedem Augenblick eine – auch für uns – ganz neue Form der Liebe, besser und schöner, jenseits allen Verstands.
Wir fanden keine Liebe. Wir erschufen sie. Gemeinsam.
© MISERANDVS 2021-06-20