Lebe in meinen Kopf

Karalyse

von Karalyse

Story

Ich konnte die Decke über mir bersten hören. Ich konnte sehen, wie die Wände Risse bekommen. Ich konnte mich schreien hören, obwohl ich gar nicht schrie. Ich konnte mich weinen sehen, obwohl ich gar nicht weinte. Über die Wände zogen sich die Schriftzüge der Nein-Ausrufe, die versuchten die Realität zu negieren. Die Realität, dass meine Kunst auch nur dort war, um irgendwas zu vergessen oder zu kompensieren.

Wieder hörte ich es knarzen und diesmal weinte ich. Im ersten Moment konnte ich dieses Weinen mir gar nicht zuordnen, weil es mir so fremd vorkam. Ich war zu sehr in meinen eigenen Trümmern gefangen, die meinen zierlichen Körper zerquetschten. Ich wusste, dass meine innere Welt gerade in sich zusammenfällt und ich aus diesem einstürzenden Irgendwas fliehen sollte. Aber ich wusste gar nicht mehr, wie es war, draußen zu sein. Ich könnte einfach rausgehen, aber ich hatte zu viel Angst. Meine eigene Wohnung war schon so verschmolzen mit meinem Kopf, dass ich gar nicht mehr wusste, was meine Wohnung war und was meine innere Realität ist.

Ich sah zu meiner Wohnungstür, aber da sah ich keine Wohnungstür. Die Wände krümmten sich und formten sich immer mehr zu meinen Schädelknochen und der rutschige und unsichere Boden wurde zu meinen schlotzigen Gehirn. Ich war mit meinem Kopf gerade nicht mal mehr in einem Raum der Realität eingesperrt, sondern in mir drinnen. Ich war in mir drinnen und ich konnte nicht raus, weil es hier in diesen Bereich meines Kopfes keinen Ausgang gab. Da war keine Augenhöhle oder ein Nasenloch durch das ich klettern konnte um wieder in die Realität – in meine Wohnung zu gelangen. Ich bin hier gefangen. Für immer. Ich komme hier nie wieder raus. Und da ist es egal, wie laut ich schreie oder wie fest ich gegen meinen Schädel klopfe. Ich komme hier nicht raus. Jemand muss mir den Schädel einschlagen, damit ich herausklettern kann.

Und dann gibt es noch diesen einen Teil in mir, der gar nicht rausmöchte. Das ist auch der Teil, der mir sagt, dass das alles ja auch gar nicht so schlimm ist und ich das aushalten muss. Da ist diese Schädeldecke ein pompöses Kuppeldach, welches sich jeder als Kind erträumt. Da gleicht der Eisengeruch dem Eau du Parfum von Lancôme. La vie est belle. Ich bin absolut benebelt davon. Diese Wohnung ist eine Wohnung und kein erträumtes Schloss aus irgendeinen naiven Barbiefilm. Und meine Realität in dieser Wohnung ist für mich ein Traum, aber es ist ein Gefängnis für die meisten Menschen. Abgeschottet sein von allem ist für viele ein Alptraum. Da stelle ich mir sofort die Frage: Bin ich ein Mensch? Bin ich menschlich? Und wann wird mein Traumschloss zu meinem persönlichen Horror, vor dem ich Angst habe? Werde ich mich jemals aus meiner eigenen Illusion befreien können? Wann brechen die Mauern ein? Wann fällt die Fassade? Und wer stellt die Nebelmaschinen um mich herum aus?


© Karalyse 2024-06-30

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Komisch
Hashtags
#verarbeitung, #illusion, #eigenewelt, verdrängung, abkopplung