von MISERANDVS
Eine meiner ersten selbstgekauften CDs war von Mysterious Art “Omen – The Story”. Mystisch angehauchte E-Musik, die sowohl Goehte in ihren Texten zitierte, wie auch lateinische Liturgie. Ich war im phonetischen Himmel angekommen, und ich hörte die Musik wieder und wieder laut über Kopfhörer.“Hör dir das an!”, wollte ich meine Kumpels auch davon begeistern. “Wos is’n des für a Schaß bitte?”, bekam ich als Antwort. Banausen! Bauern-Jazz-Fans waren sie, die bei “Sierra Madre” laut mitgrölten und flennten, und ich war mal wieder der Sonderling. Als ich Markus kennenlernte, unseren Kaplan, da sprach der tatsächlich Latein – neben Altgriechisch, Englisch, Italienisch, Französisch, versteht sich. Und ich liebte ihn, wann immer er etwas mit Leichtigkeit davon zum Besten gab, dafür. Von Latein jetzt. Nicht von Französisch – Dieser nuscheligen Dreckssprache! Nur so nebenbei erwähnt. Und dabei sprach er Latein gar nicht gern. Ich hab einmal Tränen gelacht, als er berichtete, dass er einen Studienfreund im Vatikan hätte, und die bornierte Drecksau drauf bestünde, dass man Latein spreche, wenn man ihn im Vatikan anriefe. Schließlich sei das Amtssprache, und von einem Mann Gottes könne man ja wohl erwarten, dass er sich gepflegt ausrücken könne.
Spräche ich Latein, ich spräche nur noch Latein. Da war ich mir sicher. Gott, diese Sprache! Vermutlich deswegen war ich auch von der Kirche so angetan. Denn dort sprach man Latein. Selten nur, aber immerhin. Und wenn mir dann auch noch die Orgelmusik am Ende einer Messe beim Auszug im Brustkorb widerhallte, war ich glücklich.Wenn man sich in der Messe Frieden wünschte, und die Menschen einander die Hände reichten und sagten: “Friede mit dir.”, dann war mein Moment gekommen. “Pax tecum.”, sagte ich immer. Das tat ich, bis mir einmal einer die Hand reichte, und ich mein Sprüchlein brachte, er mich lang ansah und meinte: “Ha? Wos sogst?”Vielleicht war Murau doch etwas weiter weg von Rom als ich mir eingestehen wollte. Das konnte man gut daran festmachen, dass ich den im Krakautal gesprochenen Dialekt schon nicht mehr verstand, obwohl nur rund 20 Kilometer Luftlinie uns trennten. “Im Winter waren die dort früher immer monatelang eingeschneit. Ein Dialekt, entstanden aus 500 Jahren Inzucht.”, wie mir mein Lehrer einmal feixend erklärte.
Dann endlich hatte ich Latein in der Schule. Und ich staunte mit offenem Mund, als mir meine Magistra erklärte, dass Cäsar, also Caesar, gar nicht “Tsäsar” ausgesprochen wurde, sondern “Ka-esar”, was in der zweiten Lautverschiebung dann im Deutschen zu „Kaiser“ wurde. Und Cicero war auch nicht “Tsitsero”, sondern “Kikero” – die “Kichererbse”, was seine Philosophie nicht unbedingt abwertete. Endlich. Endlich ergab das ganze Leben einen Sinn für mich. Naja, vielleicht nicht das ganze, aber wesentliche Teile davon.
Ach, Latein! Ich lieb‘ dich so. Mehr noch als Russisch, doch nicht ganz so sehr wie Deutsch, verzeih!
Ich hätt‘ doch Pfaffe werden sollen!
© MISERANDVS 2021-06-13