Little Miss Imposter-Syndrom

Theresa Schnögass

von Theresa Schnögass

Story

Als ich siebzehn war, datete ich Matthias. Er war vier Jahre älter als ich und lebte gemeinsam mit seinem Cousin Constantin, der über 40 war, in einem Penthouse in der Wiener Innenstadt. Matthias war ein Arschloch, aber das wollte ich nicht wahrhaben. Ich fand es cool, mit ihm und seinen Freunden abzuhängen. Einmal saßen wir zu viert auf der Dachterrasse – Matthias, Constantin, eine Freundin von mir und ich – mit dem dritten Glas Wein in der Hand, in Decken gekuschelt, Matthias‘ Hand auf meinem nackten Bein. Wir diskutierten über politische Themen, von denen ich keine Ahnung hatte, und ich sagte nur sehr wenig. Mitten im Gespräch meinte Constantin plötzlich zu mir, er habe schon immer gedacht, dass ich nicht besonders schlau sei, eigentlich nicht viel wüsste, das aber sehr gut überspielen könnte. Dass es mein Talent wäre, so zu tun, als wüsste ich sehr viel, obwohl ich es offensichtlich nicht tat. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle loszuheulen. Dann verschwand ich aufs Klo und saß für fünf Minuten leise weinend auf dem kalten Marmorboden. Als ich mit roten Augen zurückkam, sagte niemand etwas. Es war das letzte Mal, dass ich dort auf Besuch war. 

Warum erzähle ich das alles? Dieser Abend hat mich sehr geprägt. Zumindest glaube ich, dass es genau diese Aussage an jenem Abend war. Der Glaubenssatz, dass ich nicht sehr intelligent sei, aber mein Unwissen gut überspielen könnte, hat sich tief in mir verankert. Diese Angst begleitet mich bis heute – die Furcht, dass alles jederzeit auffliegen könnte. Erst kürzlich, bei einem Vorstellungsgespräch, wurde mir das wieder bewusst. Wieder zweifelte ich an mir und meinen Fähigkeiten. ‚Kann ich das wirklich, was ich da so enthusiastisch erzähle, oder bin ich nur gut darin, mich zu verkaufen?‘ Während wir über meine früheren Jobs, meine Skills, Teamführung und Verantwortung sprachen, traf mich die Angst wie ein Schlag ins Gesicht. Die Angst, nichts weiter als eine Hochstaplerin zu sein, die eigentlich nichts wirklich gut kann und sich nur durchs Leben geschummelt hat, ohne wirklich zu ihren Erfolgen beizutragen. Diese Angst, mein Umfeld zu enttäuschen, weil sich hinter meiner Fassade rein gar nichts verbirgt, außer dem Talent, das Unwissen zu überspielen. Wieder diese Angst, nicht gut genug zu sein.

Lieber Constantin, an jenem Abend vor knapp zehn Jahren hast du einen negativen Glaubenssatz in mir verankert, der mich bis heute verfolgt. Das nennt man auch das Imposter-Syndrom. Chat GPT definiert das kurz folgendermaßen: „Das Imposter-Syndrom beschreibt das Gefühl, als Betrüger:in entlarvt zu werden, obwohl man erfolgreich und kompetent ist.“ Wenn es also darum geht, mich gut zu verkaufen, habe ich große Angst, mich kompetenter darzustellen, als ich wirklich bin. Ich bin nie zu 100 % von mir überzeugt. ‚Vielleicht mache ich mir hier aber wieder einfach zu viele Gedanken – ist das nicht ganz normal?‘ In einem Punkt muss ich dem mittlerweile über 50-jährigen, weißen Mann in dem Zusammenhang aber doch auch danken: Ich habe gelernt, bei Themen, von denen ich keine oder nur wenig Ahnung habe, mit relevanten Fragen entgegenzusteuern. So kann ich peinliches Unwissen kaschieren und zeige Interesse. Das funktioniert übrigens auch hervorragend bei Smalltalk.

© Theresa Schnögass 2024-09-26

Genres
Biografien
Stimmung
Emotional, Informativ, Reflective