Lob des Mittagsschlafs

Michael Miller

von Michael Miller

Story
Frankfurt

Hand auf’s Herz: Wann saßen Sie mit Arbeitskolleg:innen zur Mittagspause locker plauschend im Restaurant, ließen es sich gut gehen, bei einem 4-Gang-Menü mit passendem Wein und vergaßen die Zeit? Die Sonne blinzelte Ihnen zu und keiner mahnte zum Aufbruch: Marsch zurück in die Bürohallen! Alle ignorierten die Uhrzeit und genossen den Augenblick. Am Morgen war hocheffizient gearbeitet worden, es reichte für den Tag. Gegen 15 Uhr gingen Sie nach Hause, legten sich für eine halbe Stunde aufs Sofa und genossen den süßen Schlummer eines leicht verspäteten Mittagsschlafes. Siesta pur! Erinnern Sie sich an solch bedeutende Augenblicke?

Oder sind Sie besser vertraut mit Coffee-to-go, Sandwich auf die Hand und wichtig-wichtiges Handygespräch mit einem Kunden so nebenbei. Alles in der Mittagspause von sagen wir 22 Minuten. Das Zeiterfassungssystem bescheinigt Ihnen dann 28 Minuten Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Selbstverständlich ein kostenfreier Service der Unternehmensleitung, direkt auf Ihrem ganz persönlichen Computer. Versteht sich von selbst: alles gelebte zeiterfasste Unternehmenskultur, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat geregelt, flexibel, dynamisch, zukunftsorientiert.

Oder gehören Sie schon zu den neuen Kreativen der Anderen Gesellschaft? Gibt es bei Ihnen im Büro geschmackvoll eingerichtete, kontemplative Räume? Komfort-Liegen? Die Anerkennung des Mittagsschlafes als Nutzen für ALLE. Gezielte Entschleunigung für verbesserte Konzentration. Sind Sie schon ein Meister des Nickerchens – Krawatte auf, Gürtel locker, Füße auf dem Schreibtisch und einfach einmal 20 Minuten gedöst? Oder Ausflüge ins Zwischenreich der Meditation wagen? Schließt sich Ihr Vorgesetzter ganz bewusst dieser neuen Mittagsschlaf-Bewegung an? Ein neuer Lebensstil in der Arbeitswelt scheint auf. Die Andere Gesellschaft braucht ausgeschlafene Frauen, Männer und Kinder. Der Mittagsschlaf ist anerkanntes Recht – zweitrangig ob im Büro, in der Schule oder in der Fabrik.

Apropos Schlaf: Der gesunde Nacht-Schlaf, zwischen 7 und 9 Stunden, sollte nicht verwechselt werden mit einem weit verbreiteten Depri-Schlaf als ständige Flucht ins Bett, Augen zu vor der Totalerschöpfung. Augen zu vor der eigenen Angst, vor der notwendigen Reise nach innen. Die gehetzte Gesellschaft verfällt zunehmend in kollektive Depressionen. Der Einzelne schlägt sich dann mit seiner psycho-geschundenen Struktur herum und verzweifelt an seinem vermeintlich individuellen Versagen.

PS: Auch Politiker sollten wenigstens sonntags konsequent ausschlafen. Dann passieren werktags weniger Fehler und viel zu viele unproduktive Gipfeltreffen und Klausurtagungen könnten entfallen. Zur Einstimmung wird John Lennons I’m only sleeping von 1966 empfohlen. Der Schlaufuchs Carl Zuckmayer meinte treffend: Der eigentlich hervorbringende, fruchtbare Teil unseres Daseins ist der Schlaf. So ist es! Ausgeschlafene Politiker braucht das Land.

In diesem Sinne: frohes Schaffen und ein Hoch dem Mittagsschlaf!


© Michael Miller 2023-11-18

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Lebenshilfe
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