Love Scene – Ein Junge, schwer verliebt

Daniel Büttrich

von Daniel Büttrich

Story

Ein menschenscheuer Jugendlicher hatte sich Hals über Kopf in eine Mitschülerin verliebt. Ihr Lächeln, ihre Bewegungen, ihr Gang, ihr dunkles, verspieltes Haar und ihre sanfte und liebevolle Stimme mochten ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen. Er glaubte, durch sie von sämtlichen Problemen seiner verwirrenden Jugendjahre erlöst zu werden. Seine Sprachlosigkeit, seine Einsamkeit und seine Unsicherheiten würden auf einen Schlag verschwinden, wenn sie seine Freundin wäre, dachte er.

Doch sein schweigsames und zurückhaltendes Wesen und ihr selbstbewusstes Auftreten hinderten ihn an einer Kontaktaufnahme, die über den Austausch von einigen wenigen Sätzen hinaus reichte.

Auf dem Sofa liegend erträumte er ungezählte Filme in Überlänge, die opulent ihre Liebe ausmalten. In seiner Fantasie war diese Liebe unerschöpflich und ihre Beziehung jederzeit harmonisch. Nichts stand zwischen ihnen. Kein Funken Misstrauen kam jemals auf. Sie konnte seine Gefühle geradezu lesen. Sofort vertrieb sie mit einem Lachen melancholische und depressive Gemütslagen. Kündigte sich das bedrückende, von allem Menschlichen trennende Alleinsein an, flog sie einem Engel gleich herbei, fasste ihn an der Hand und küsste ihn auf die Wange. Stundenlang sahen sie sich in die braunen Augenpaare, und empfanden nichts als Glück dabei.

Als die Sehnsucht nach ihrer Nähe kaum noch zu ertragen war, beschloss er, mit dem Fahrrad zu ihrem Haus zu fahren. Zwei-, dreimal fuhr er vorbei, um daraufhin wieder die Heimreise anzutreten. Das tat er ab sofort jede Woche. Doch nie begegnete er ihr. Nun fehlte er tageweise in der Schule, um die Einträge verpasster Unterrichtsstunden von ihr abschreiben zu können. So hatte er einen Anlass, ihr Worte wie „Ich danke dir“ oder „Bis bald“ zu sagen. Eines Tages stand er in dem Flur des Hauses, in dem sie mit ihren Eltern wohnte, um eines ihrer Hefte zurückzubringen. Sie fand, dass das nicht nötig gewesen wäre. Dann verabschiedete sie sich zu einem Termin im Sportverein.

Seinen Träumen tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie beherrschten ihn umso mehr. Inzwischen hatten sie sich in seinem Geist bereits leidenschaftlich geschlechtlich geliebt. Seine ohnehin mäßigen schulischen Leistungen litten erheblich unter seiner stillen Obsession. Als sie mit einem Jungen aus einer höheren Klasse ging, wurde sie für ihn zu einer Heiligen, die ein Anderer auf den falschen Weg geführt hatte.

Die Bilder wurden unscharf, gingen ineinander über, Grenzen wurden überschritten und Inneres und Äußeres drifteten erheblich auseinander. Es war kaum noch zu erkennen, was zu Ende gegangen und was begonnen hatte.

Jahre später joggte er an einem Sommertag durch den Wald. Da lief plötzlich ein hübsches Mädchen mit wehenden, dunklen Haaren an ihm vorbei. Mit einer Stimme, die er nie zuvor und nie danach in solch liebenswerter Weise vernommen hatte, sprach sie: „Hallo David“. Er war perplex. Und er wusste zunächst nicht, ob dieser Moment sein Leben fortan verfinstern oder erhellen würde.

© Daniel Büttrich 2025-04-15

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional