Manche Worte schmecken bitter

Franziska Pronneg

von Franziska Pronneg

Story

„Mahlzeit!“

Ein Stück paniertes Hühnerfleisch fällt aus einer Mädchenhand und landet neben einem Zigarettenstummel am Asphalt. Die Hand geht nach oben, schiebt ein paar lockige Haarsträhnen zur Seite, damit die Augen nach links schielen können. „Wetzelsdorf: 8 Minuten”, spricht die Anzeigesäule. Verdammt.

Die Augen des Mädchens wandern zurück. Bis jetzt war die Wartezeit auf die letzte Bim eine angenehm einsame. Nicht einmal Tauben und andere schräge Vögel hat es an diesem späten Sonntagabend auf den zentralen Grazer Umsteigepunkt verschlagen. Nun blickt sie einem jungen Mann ins Gesicht: hager, ein paar Fältchen um die Augen, einem schüchternen Lächeln verdankend. „Hast du so spät noch Hunger?“, formen seine Lippen mit hörbarem Akzent. Sein Blick fällt auf das braune Sackerl in ihren Händen: „Schnelles Essen.“

Ihre salzig-fettigen Finger fahren abermals durch die Haare, während ein gestottertes „Ahm, ja, äh-äh, ich m-m-mag’s, ahm, heiß u-u- und fettig“ über ihre Lippen wandert. Ein ungutes Gefühl macht sich in ihrem Bauch breit. Small Talk ist nicht ihre Stärke. Zumindest nicht mit Fremden. Zumindest nicht am Jakominiplatz. Nicht um diese Uhrzeit. Bei schwacher Beleuchtung, mit fast leerem Akku. Alleine.

Ein Knirschen unterbricht sie. Eine Straßenbahnschnauze schnuppert Haltestellenluft. Die Augen des Mädchens wandern abermals nach links. Statt der erhofften 7 leuchtet ihr jedoch eine 1 entgegen. Verdammt. „Ich bin Rohullah. Und du?“ Er lernt Deutsch, will sprechen üben. Da ist sie sich ganz sicher. Davon erzählen ihre Schülerinnen und Schüler, die sie ehrenamtlich unterrichtet, ständig: dass sie jede Gelegenheit nutzen. Sie ermutigt sie dazu. Und doch freut sie sich über dieses Gespräch wie über ein Essiggurkerl im Cheeseburger.

„Ahm, ich bin…“ Ein Finger reibt dabei nervös das linke Auge. Das Salz brennt höllisch. Rohullah schaut sie noch immer erwartungsvoll an. Die Bim macht es sich noch für eine Minute bequem. Aber nicht mehr lange. 10, 9, 8, 7, 6… „Ahm, du, das ist m-m-meine Bim, ahm, ich muss leider, ahm, pfiat di, baba.“

Sie sprintet los und zwängt sich im letzten Moment durch die Tür. Fast klemmt sie sich den Ellbogen ein. Die Bim biegt um die Ecke und lässt das braune Sackerl und einen verwirrten Rohullah zurück. Sie wünscht sich, er wüsste, dass sie privat fast nie gesprächig ist. Dass sich ihre Zunge immer verknotet, wenn sie von Fremden angesprochen wird. Und doch fragt sie sich, ob sich der Knoten vielleicht gelöst hätte, hätte sie ein blonder Hans oder ein rothaariger Franz ohne Akzent angesprochen. Ob wirklich nur die sonntägliche Dunkelheit und der fast leere Akku der Grund waren, dass Rohullahs Worte sie so nervös machten. Eine Station später steigt sie aus. Wetzelsdorf: 4 Minuten. Während sie sich noch ein wenig die Füße in den Bauch steht, weicht dem salzig-fettigen Film auf Zunge und Lippen ein bitterer Nachgeschmack: Schuldgefühle.

© Franziska Pronneg 2021-05-12

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