von Laura Mazllami
An mein liebes Ich,
Manchmal siehst du in den Spiegel und siehst deinen größten Feind. Das Spiegelbild erblickt dich so voller Hass und Ekel. Es hasst dich für das, was du bist und warst. Es hasst dich für deine Fehler und deine Art. Es hasst dich, weil du fühlst, kämpfst, lebst. Es hasst dich, weil du nicht mehr stark sein kannst und dich wehrst.
Manchmal siehst du in den Spiegel und du siehst nichts. Ein Nichts. Das Nichts. Du siehst etwas Leeres, Verlorenes. Du siehst dich nicht, denn wer bist du überhaupt? Mal Freund, mal Feind und dann ist da wieder nichts. Das Nichts. Das Zerrissene. Das Verlorene. Und du fragst dich: „Das soll mich ausmachen?“ Ich kenne mich selbst nicht und weiß nicht, was mich da im Spiegel erblickt. Identität? Konflikt? Ich? Fragen, die ins Leere führen. Du schaust in den Spiegel und siehst das Nichts. Ein hoffnungsloser Fall. Eine Schande. Ein Versager. Nichts, was besonders genug wäre, um gesehen zu werden.
Manchmal siehst du in den Spiegel mit einem leichten Lächeln. Ein hoffnungsvoller Funke erblickt in deinen Augen. Du bist wertschätzend zu dir selbst, denn du weißt, du hast nur diesen einen Körper und musst gut zu dir sein. Du schaust mit stolz in den Spiegel. Stolz auf deinen Körper, dass er atmet und dich durch das Leben trägt, dass dein Herz schlägt und fühlt. Du bist stolz auf dich, dass du kämpfst, lachst und liebst. Stolz darauf, dass das Leben auch bunt sein kann und du die Farben mit deinen wunderschönen Augen wahrnehmen kannst.
Manchmal siehst du in den Spiegel und siehst ein schwarz/weiß. Ein ganz oder gar nicht. Gut oder Böse. Hass oder Liebe. Die Welt um dich herum dreht sich zu schnell oder zu langsam. Es sind die Gegensätze, die sich anziehen und so siehst du einen Gegensatz im Spiegel, mal schön, mal hässlich, mal wertschätzend und mal abwertend.
Manchmal siehst du in den Spiegel und siehst die Authentizität. All die Masken, die du aufgesetzt hast, fallen und du siehst dein Gesicht. Dich, wie du bist. Tränen, die lange unterdrückt wurden, kommen zum Vorschein. Der Schmerz, die Wut und alles zeigt sich, du fühlst dich ganz verletzlich, weil Emotionen für dich eine Gefahr sind. Sie machen dich angreifbar, sodass du deine Maske wieder aufsetzen willst. Aber du weißt, dass Gefühle angreifbar machen, aber eben auch wunderschön sein können. Und so siehst du jemanden, der immer wieder einen Mutausbruch hat und seine Maske niederlegt.
All diese Spiegelbilder sind Teile von dir und Anteile in dir. All das bist du und macht dich aus.
Ich sehe in den Spiegel und sehe dich. Eine junge, tapfere, wundervolle, sensible, empathische Frau. Eine Frau, die niemals aufgibt. Eine Frau, die wie eine Löwin kämpft. Eine Frau, die sich ihrem Spiegelbild stellt.
© Laura Mazllami 2023-12-15