von Maria Büchler
Marianna war das erste Mal im Ristorante Da Fernando. Zusammen mit ihren Freundinnen saß sie vor einem Limoncello. Alle vier mochten das picksüße Gesöff nicht sonderlich und hatten es nicht angerührt. Aber einen Caffè, dieses schwarze Etwas im dickschaligen Tässchen, so stark, dass der Löffel aufrecht drin stecken blieb: Genau das fehlte dem Mädelsquartett noch zum Glück. Danach konnte die Heimreise weitergehen.
Die Vier kamen von einer Hochzeit in Slowenien. Beim Frühstück hatten sie noch wenig Appetit verspürt, aber auf der Höhe von Venedig beschlossen sie, von der Autostrada abzufahren und eine Pause einzulegen. Den gestrigen Abend spürten sie noch stark in den Knochen. Vor allem auch im Magen, dem sie im Lauf der Nacht einiges zugemutet hatten.
Zudem hatten sie gehört, dass es in Treviso einige Kanäle und schöne Brücken zu sehen gäbe und wollten einen Blick darauf werfen. Aus Versehen hatten sie eine Ausfahrt zu früh genommen und sich in einen Vorort verirrt. Egal. Erst essen.
Die Wirtsstube im Fernando war fast leer. Ein deutlich fadisierter Kellner hatte mehr Zeit in der Küche verbracht als im Gastraum. An einem Fenstertisch referierte ein Mann Mitte Fünfzig über den Reisanbau in Oberitalien. Seine Frau tat, als höre sie ihm zu, war aber mit ihren Gedanken anscheinend woanders. Denn unter dem Tisch spielte sie mit ihrem Handy. Soeben brauste der Herr Oberlehrer auf:
„Der Kellner muss doch die Fragen der Gäste beantworten können! Unerhört!“
Der Cameriere schlurfte mit vier Espressi heran, stellte sie auf ihrem Tisch ab und brachte den anderen Gästen die Rechnung.
„Signore“, hörte Marianna den Mann auf Italienisch reklamieren, „haben Sie nun endlich gefragt, mit welcher Reissorte hier gekocht wird?“
Knapp erwiderte der Herr mit der weißen Schürze: „Uncle Bens“ und wandte sich dem Buffet zu.
Marianna flüsterte mit ihren Freundinnen. „Das traust du dich nicht“, behauptete Marie Theres wie immer als Erstes. Die ewige Skeptikerin! Die anderen beiden glucksten und stießen sich an.
„Wart’s ab!“ Und während sie aus dem Augenwinkel beobachtete, wie die Frau ihr Handy in der Tasche verstaute und der Mann einzelne Cent-Stücke aus seiner prallen Geldtasche fischte, rief sie den Kellner zu sich. Der nahm es so gemütlich, dass das Ehepaar bereits an der Tür war, als Marianna endlich fragen konnte:
„Sagen Sie, hat der Original Onkel Bens den Risotto gekocht?“
Der Mann an der Tür stoppte jäh. Langsam wandte er den Kopf. Der Cameriere zögerte, blickte kurz zu ihm hin, drehte sich wieder Marianna zu, grinste und nickte.
„Fantastico! Was meinen Sie, ist es zuviel verlangt? Glauben Sie, er gibt mir ein Autogramm?” Und während sie nach ihrer Handtasche griff, um die Menükarte von der gestrigen Hochzeit hervorzuholen, drehte sich der scheidende Gast ungläubig auf dem Absatz um. Es sah aus, als wolle er sich entweder auf Marianna oder den Kellner stürzen.
„Komm, Max!” Die Frau murmelte etwas Besänftigendes, und zögernd folgt er ihr.
© Maria Büchler 2021-02-08