Mein Bruder ist ein Maler

Kurt Mikula

von Kurt Mikula

Story

Wir Brüder hatten in unserer Jugendzeit eine Familienband. Andreas spielte Akkordeon, Reinhard Klarinette und ich spielte Gitarre. Daniel, der Jüngste, sang manchmal mit. Er hatte die beste Stimme von uns allen. Wir spielten in Gasthäusern, bei Hochzeiten und sonstigen Feiern, hauptsächlich Oberkrainer und die aktuellen Hits von damals.

Reinhard machte eine Lehre als technischer Zeichner und rückte danach zum Militär ein. Dort begann er plötzlich Selbstgespräche zu führen, verletzte sich selbst und brach zusammen. Er wurde in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, mit Medikamenten vollgepumpt und mit Elektroschocks behandelt. Danach wohnte er in verschiedenen psychiatrischen Wohngemeinschaften. Das hat irgendwie nicht geklappt. Er begann Dinge, wie seine Klarinette, grundlos zu verschenken, besuchte Gaststätten ohne zu bezahlen und kaufte ein Boot oder stieg in einen zufällig vorbeikommenden Reisebus ein, weil er nach Argentinien wollte. Über die Polizei wurde er wieder in die Nervenklinik eingeliefert.

Dort begann er zu malen. Er entwickelte eine eigene Maltechnik. Zuerst überlegte er sich ein Thema, malte großflächig mit Ölkreide das Motiv, bespuckte ein Taschentuch und verrieb damit die Ölkreide ineinander. Das schaute sehr gut aus. Mittlerweile hat Reinhard über dreitausend Bilder gemalt. Die bekommen alle seine Geburtstagskinder. Und das sind dreihundertfünfzig jedes Jahr. Meine Frau und ich freuen uns schon jeden Geburtstag auf neue Bilder.

Die schönsten Kunstwerke habe ich gerahmt. Sie hängen im Wohnzimmer. Wenn mein Blick darüberschweift, denke ich oft an das Lied von Udo Jürgens. „Mein Bruder ist ein Maler, und ein Bild von seiner Hand kann mehr sagen als tausend Melodien …“

Reinhard lebt seit 27 Jahren im Kolpinghaus. Es geht ihm gut. Nur letztes Jahr fing seine rechte Hand an zu zittern. Malen geht nicht mehr. Aber er verschenkt immer noch seine Bilder – als Fotografien.

Reinhard hatte einen wichtigen Traum über unseren verstorbenen Vater. Den hat er aufgeschrieben:

Eine Stimme sagte zu mir: „Reinhard, du stehst jetzt auf und gehst auf den Berg hinauf.“ Ich habe nicht darauf gehört. Ein zweites Mal hörte ich die Stimme: „Reinhard, du stehst jetzt auf und gehst auf den Berg hinauf.“ Ich hörte wieder nicht darauf. Erst beim dritten Mal erhob ich mich und ging los, obwohl es draußen stürmte und schneite. Oben auf dem Berg angekommen, sah ich meinen Vater und fragte ihn. „Sind wir denn schon hier bei dir in St. Jakob?“ „Nein, Reinhard, wir sind im Himmel.“ Da sah ich erst unten im Tal die tausende von Lichtern, die mir entgegen strahlten. Ich spürte ganz deutlich, wie mich mein Vater in seinen Armen hielt, mir himmlische Lieder vorsang und dabei tanzte.

Bild: Gemeinsam, mit meinem Bruder Reinhard (links)

© Kurt Mikula 2019-07-26

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