von Bernd Schreiber
1.10.82, mein erster Arbeitstag. Gut, mit 30 Jahren ist das nicht zu früh, aber bevor mich jemand einen faulen Hu.. nennt: Ich habe vorher schon gearbeitet, auch richtig fleißig, wie ich meine, aber halt als “Hiwi” oder “Assi” im Unibereich, anders als es jetzt anstand: Von morgens an 8 Stunden im Stück, immer geschniegelt und gebügelt, mit Anzug und Schlips. Ich würde ein Drittel des Tages mit Menschen verbringen, die ich noch nicht kannte. Ich kannte aber auch niemanden fürs 2. Drittel, die Freizeit und erst recht nicht fürs 3. Drittel, die Nacht im Bett. Ich war ganz alleine aus meinem molligen Berliner Kiez nach Frankfurt am Main gewechselt: „Maaama!“ Die konnte mir auch nicht mehr helfen, also hieß es Augen zu und durch die große Tür in die Eingangshalle.
Mir fiel ein, dass ich doch jemanden vom Einstellungsgespräch her kannte, meinen neuen Chef. Ich wurde von einem Herrn Peter M. abgeholt, der den Chef entschuldigte, der wäre heute nicht im Haus. Okay, auch das nicht. Er zeigte mir meinen Arbeitsplatz. Leider saß mein neuer „Stubenkollege“ gerade nicht an seinem Schreibtisch. Herr M. würde mir erstmal die anderen Kollegen/innen des überschaubar großen Teams vorstellen.
Im Nebenzimmer war niemand, im darauffolgenden war einer von zwei Plätzen mit einer Kollegin besetzt. Ich gab brav Tatze und wir wechselten ein paar nette Worte. Herr M. blickte fragend auf den leeren Stuhl gegenüber und es hieß: „Der ist wohl gerade drüben im RZ (Rechenzentrum)“.
Ich mach’s kurz. Die Rundtour auf der Etage erbrachte fifty-fifty, ob jemand an seinem Schreibtisch anwesend war oder nicht. Herrn M. war das sichtlich peinlich: „Dann lassen Sie uns noch ins RZ gehen“, schlug er vor. Aha, vielleicht, weil der Computer sicher anwesend war, aber nein, er wollte mir die AV vorstellen. AV? Ja, Arbeitsvorbereitung. Irre, dachte ich, erstens arbeitet hier nur rund die Hälfte und dann haben die noch welche, die die Arbeit vorbereiten, also selbst nicht arbeiten. Vielleicht hätte ich mich besser bei denen beworben (AV bedeutet Vorbereitung der „Jobs“/Programmläufe für den Computer)?
Der Raum der AV war voll besetzt, alle schauten TV. Herr M. war noch peinlicher berührt, schien aber froh, dass er wenigstens seine halbe Mannschaft gefunden hatte. Gemütlich, dachte ich, hier gefällt’s Dir. Was gab’s denn zu sehen, wurde die Sendung mit der Maus wiederholt? Nein, und damit löste sich das Ganze auf: Am 1.10.1982 lief das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt im Bundestag, es wurde live übertragen und die Abstimmung stand später an. Herr M. entspannte, außerdem konnte er mich hier gebündelt vorstellen. Ich sagte mein Begrüßungssprüchlein auf und schloss mit Blick auf Helmut Kohl: „Wenn er Kanzler wird, ist es auch für ihn der erste Tag. Mal sehen, wer länger durchhält?“
Ich wollte nur für 2-3 Jahre Berufserfahrung sammeln, aber der Job war anspruchsvoll und derart fesselnd, dass ich letztlich haushoch gewonnen habe, obwohl Kohl ausdauernd gegenhielt.
© Bernd Schreiber 2022-04-09