Mein kastrierter Mann

Lotte Maria Kaml

von Lotte Maria Kaml

Story

Mitten in der Nacht hat er mich geweckt. Er wollte was von mir. Schon wieder! Ich bin ja eine flexible Frau, aufgeschlossen für vieles. Aber irgendwann wurde mir das Ganze einfach zu viel.

Als er bei mir einzog, war er ein Traumpartner. Vom Wesen her eher ruhig, anspruchslos in Sachen Essen, zufrieden mit dem, was ich ihm bieten konnte. Wunderbar zuhören konnte er, stillschweigend tröstete er mich mit Umarmungen und seinem einfach Da sein, wenn ich Kummer hatte. Es war schön zu wissen, da wartet jemand auf mich.

Sein fröhliches Wesen, seine herzliche Art, das tat mir einfach gut. Wir verstanden uns prächtig, ich war so glücklich mit ihm. Dann kam der Frühling. Da entdeckte er plötzlich seine sportliche Ader. Und ich musste mit, ob ich wollte oder nicht. Laufen, nein, Rennen! In einem Tempo, welches ich ihm mit seinem Wohlstands-Bäuchlein gar nicht zugetraut hätte. Ich kann leider nicht schnell laufen.

Dazu kam sein Faible für diverse, nicht endend wollende Ballspiele. Ein besonders gutes Ballgefühl hatte ich aber noch nie, wie mir meine bescheidenen Erfolge beim Golfen eindeutig bewiesen haben. Und dieser plötzliche Freiheitsdrang! Er war kaum noch zu Hause. Wer weiß, wo er sich herum trieb? Jetzt fand ich keinen Schlaf, weil er mich zu nächtlicher Stunde nicht mehr belästigte. Außerdem fiel mir auf, dass er rasant an Gewicht verlor. Keine meiner liebevoll kredenzten Mahlzeiten interessierten ihn. Kränkend, so was. Mit bangem Herzen lag ich Nacht für Nacht wach, bis er endlich wieder auftauchte. Schließlich wurde es so anstrengend, dass ich beschloss, mich meiner besten Freundin anzuvertrauen. Sie hatte da Erfahrung, wie ich wusste.

„Oje“, meinte Sieglinde und verdrehte die Augen. „Schlafzimmer-Probleme? Du musst sofort etwas unternehmen! Oder willst du ihn etwa wieder loswerden?“ Was für eine Frage – natürlich nicht! Wir waren doch ein Herz und eine Seele, bis auf die letzten Wochen. Unvorstellbar, dass er nicht mehr da sein könnte.

Ich studierte hin und her. Als er dann eines Nachts nicht nur verbal, sondern auch körperlich aggressiv wurde, weil ich ihn nicht gehen lassen wollte, riss mir der Strick. Ich desinfizierte die blutende Stelle unter meinem Auge. Es war zwar nur eine Kleinigkeit, aber so konnte es nicht weitergehen.

Ich musste professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, es half alles nichts. Schweren Herzens vereinbarte ich einen Termin. Erstmal zur Beratung. Ich wusste genau, er hasst Ärzte und alles, was damit zusammenhängt. Freiwillig würde er niemals in diese Klinik gehen. Im Nachhinein betrachtet, war es gemein von mir. Ich habe ihn überlistet. Mit einem Medikament, welches mir die Ärztin meines Vertrauens zugesteckt hat.

Dann ging alles ganz schnell. Unglaublich, wie leicht man einen Mann seiner Mannes-Kraft berauben kann! Aber es hat sich gelohnt. Kastrierte Männer sind pflegeleicht. Ruhig, anhänglich und zufrieden. Jetzt sind wir wieder ein Herz und eine Seele, mein heiß geliebter Kater und ich.

© Lotte Maria Kaml 2022-05-07