Meine Muse

Kristina Richtsfeld

von Kristina Richtsfeld

Story

“Hades! ” rufe ich in die tiefe Dunkelheit. Ohne irgendetwas zu sehen, irre ich durch die vollkommene Dunkelheit. Noch immer war kein Lichtstrahl zu sehen. Irgendwann kam ich vor einen Podest. Nur eine kleine Erhöhung in Mitten dieser Dunkelheit. Gerade so breit, dass eine goldene Chaiselongue mit rotem Bezug darauf Platz findet. Sie steht in etwa zwei Meter Höhe. Beleuchtet wird dieses durch einen antiken goldenen Kronenleuchter. Dessen Licht weicht aber vor der Dunkelheit, die sonst überall lauert, zurück, sodass außer der Chaiselongue nichts zu sehen ist. Naja, zumindest, wenn man von dem dunklen Mann absieht, der da auf der Chaiselongue lehnt.

“Hey, unser großer Künstler! Arbeitest du denn nicht gerade an deinem Meisterstück?”, frage er mich mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht. Was für ihn wohl so amüsant ist? Dabei weiß er ja ganz genau, was ich will. “Wo ist sie?”, frage ich ihn also. Nun verschwindet sein Grinsen. “Was kümmert es dich? Du findest sicher eine andere Muse für deine Werke.” Doch ich will niemanden außer sie. Sie war perfekt. Sie inspirierte mich. Sie war mutig und stark und gleichzeitig schüchtern und schön. Kein Mädchen, keine Frau könnte jemals so großartig, perfekt oder einzigartig sein. “Wo ist sie?”, frage ich jetzt etwas panischer, denn irgendetwas musste passiert sein, damit Hades unerträglich arrogantes Grinsen verschwand. “Warum willst du das wissen?” , fragt er jetzt nachdenklich. Ohne einen Gedanken an Vernunft oder Gefahr zu verschwenden, antworte ich: “Wo auch immer sie ist, ich folge ihr.” Sein Grinsen wurde wieder breiter. “Und was, wenn ich dir sage, dass sie unten ist?” “Unten ist?” “Unten ist! Sechs Meter unter der Erde.” Ich begreife erst nach kurzer, von ihm dramatisch angelegter Pause, was passiert ist. Mein Herz zerbricht in tausend Scherben. Dann fügt er mit hämischen Ton hinzu: “Sie hat deinen Namen gerufen, kurz bevor sie ging, aber ich glaube, du hast nicht hingehört.” Ich war so in meine Arbeit und Karriere als großer Künstler vertieft gewesen, dass ich nicht mitbekommen habe, wie es ihr immer schlimmer ging und sie mich anschließend verlassen hat. Aber von dort, wo sie hingegangen ist, kann ich sie beim besten Willen nicht zurückholen. “Nein..” ,entfuhr es mir. Aber er lächelte nur kalt und fragte : “Wie weit wirst du für sie gehen? Liebst du sie genug, um für sie zu sterben? Nur, um dann mit ihr vereint zu sein? Du könntest mit deiner Kunst ganz groß rauskommen. Vorausgesetzt, du bleibst unter den Lebenden.“ Verzweifelt starrte ich auf den dunklen Boden vor mir. Und dann traf ich meine Entscheidung.

© Kristina Richtsfeld 2022-05-30

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