von Michael Schaake
Frei nach Mario de Andrade, brasilianischer Schriftsteller (1893 – 1945): Meine Seele hat es eilig. Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit zu leben habe, als ich bisher gelebt habe (Originalzitat, auch der Rest des Gedichtes lesenswert).
Ich war immer tolerant, offen und empfänglich für neue Ideen, gleichzeitig liberal und konservativ. Meine Haltung hat sich nicht geändert, aber mein Denken. Die Geduld mit Menschen anderer Meinung lässt nach, merkt keiner im Alltag (bin diplomatisch), außer denen, die jetzt diese Geschichte lesen. Ich bin intoleranter geworden, wie soll man sagen, altersextrem?
Vegane und Fleischesser sollen sich doch in Ruhe lassen, jede*r isst halt, was ihm/ihr schmeckt. Ich bin auch gegen Massentierhaltung, esse trotzdem Fleisch. Die Tiere fressen sich auch gegenseitig auf, vielleicht findet sich ein Aktivist, der mal was dagegen unternimmt.
Die Rechte der Kinder und Frauen, die immer noch nur auf dem Papier existieren oder bei den Kindern gar nicht. Wer diskutiert da noch? Männer verhindern das, weltweit.
Rassismus: jeder intelligente Mensch müsste verstehen, dass der unerträglich ist. Aber hochlebe die Macht der alten weißen Männer. Und die jungen, die ihnen folgen, sind genauso alt, und die Frauen, die so denken, genauso unerträglich.
Viele Menschen glauben an Gott. Warum sind sie nicht tolerant gegenseitig, wenn eine*r an einen anderen Gott glaubt. Selbst wenn sie den gleichen Gott haben, Streit: Schiiten gegen Sunniten, Katholiken gegen Protestanten. Weibliche Göttinnen wie in der Antike wurden inzwischen abgeschafft.
Keine Toleranz von Minderheiten gegenüber Mehrheiten (auch andersherum), keine Rücksicht auf andere: Querdenker sollen gern quer denken, aber die anderen damit in Ruhe lassen, die Coronaleugner sollen gern leugnen, aber nicht den anderen Angst machen, wenn sie öffentlich auftreten.
Ich kann nicht gut schlafen, wenn ich lese, in Münster wurden wieder mal Kinder missbraucht. Oder in Brunswick/Georgia ein Schwarzer, der in einem weißen Viertel joggte, erschossen, weil man einen Einbrecher vermutete. Erschießt man Einbrecher, auch wenn nicht eingebrochen wurde? Alternativ die Scharia, Hand abhacken – rein prophylaktisch.
Alte und bekannte Themen für die Leser*innen und für mich. Neu für mich, ich kann es nicht mehr ertragen, wenn Menschen solche Probleme entweder kleinreden oder aufbauschen. Innerlich hasse ich das, keine Sorge, bin zu alt, um Hass auszuleben, nur nachdenken. Ich entschuldige mich im Voraus, vielleicht ein wenig provokant geschrieben.
Ich mag auch nicht die Super-Egos und Spalter in Politik und Medien. Den Einfluss und die Prominenz verdanken sie natürlich auch uns, wir lesen lieber aufrüttelnde Nachrichten als: hey, alles ok, wir haben uns geeinigt, Respekt und friedlich kooperieren. Wie gesagt, meine Seele hat es eilig, werde ich das noch erleben? Und jetzt halte ich die Klappe!
© Michael Schaake 2021-04-17