von Günther Stark
Harry blättert in Agostino Carraccis Stahlstichen. Nummer 14 zeigt ein ziemlich profanes Paar: Messaline dans la loge de Lisisca.
Valeria Messalina, der dritten Frau des römischen Kaisers Claudius, sind die historischen Quellen meist recht ungnädig. Sie gilt als habgierige, grausame und ausschweifende Nymphomanin. Zahlreiche hochrangige Köpfe fielen ihren Intrigen zum Opfer. Ihre exzessive Ausschweifung äußert sich in zahlreichen außerehelichen Affären. Claudius liebt seine weit jüngere, lebenslustige Frau aufrichtig und ignoriert geflissentlich ihren immer offener kritisierten Lebenswandel. Die Vergnügungen der schönen Kaiserin auf Festen und Banketten entarten meist in zügellose Orgien. Sie tritt stets als aktiv begehrende und ihre Geilheit rücksichtslos durchsetzende Frau in Erscheinung. So zwingt sie den berühmten Pantomimen Mnester zum Beischlaf, indem sie Claudius unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den Befehl abringt, dass Mnester ihr in jeder Weise zu Diensten sein müsse. Andere adlige Damen nötigt sie im Kaiserpalast vor den Augen ihrer Gatten zum Ehebruch. Ihrem kaiserlichen Gemahl führt sie Sklavinnen als Geliebte zu und hält ihr eigenes offen ausgelebtes Hurenleben lange verborgen.
Als Claudius im Jahr 48 von seinem Kanzleileiter Narcissus erfährt, dass Messalina in dem Politiker Gaius Silius einen neuen Geliebten gefunden, lässt der Kaiser das Paar ergreifen und hinrichten. Neben anderen Vertrauten Messalinas kommt zusammen damit auch Mnester auf eine Liste von Personen, denen die Hinrichtung droht. Der Satiriker Juvenal bringt das Dilemma des Silius folgendermaßen auf den Punkt: Dieser brave junge Mann, der schönste unter allen Patriziern, war dem Tode geweiht, als Messalinas Auge auf ihn fiel. Sie will unbedingt nur in gesetzlicher Form heiraten. Sag, wie du dich entscheidest. Willst du nicht folgen, stirbst du noch vor Abend; gibst du dem Frevel nach, lebst du ein Stündchen länger.
Mnester versucht, Claudius milde zu stimmen, indem er auf seine Unschuld bei Messalinas Umsturzversuch pocht und plausibel damit argumentiert, dass er als Ex-Liebhaber Messalinas kaum Interesse daran gehabt haben könne, weil im Fall der Herrschaftsübernahme durch Gaius Silius sein eigenes Leben bedroht gewesen wäre. Um seine Unschuld am Beischlaf mit der Kaiserin zu unterstreichen, weist er darauf hin, dass er, Mnester, auf Claudius’ kaiserlichen Befehl Messalinas Wünsche erfüllen sollte. Diese Hinweise verfehlen zunächst nicht ihre Wirkung, der Kaiser wird unschlüssig. Allerdings stimmen Freigelassene, die am kaiserlichen Hofe verkehren, Claudius erneut um und überzeugen – unter Vergleich der hohen sozialen Stellung anderer Todeskandidaten mit Mnesters geringerer sozialen Stellung als Schauspieler – davon, dass Mnester den Tod verdiene. Daher wird er schließlich doch hingerichtet.
Agostinos Nummer zeugt noch von lustigeren Tagen.
(Weiter mit ‚Messalina – 2‘.)
© Günther Stark 2021-02-19