“In der großen, großen Leistungszeit will ich mir meine Nachdenklichkeit leisten ”, sagte André Heller. Ganz unerwartet schnörkellos. Das war im Juni 1979. Heller saß an einem Marmortischchen im Café Mozart, dicht umringt von zahlreichen Bewunderinnen wie Eliette von Karajan und rezitierte seine Lieblingsautoren, die Wiener Kaffeehausliteraten, die er aus der Versenkung geholt hatte: Peter Altenberg, Anton Kuh, Egon Friedell und Karl Kraus. Er war Anfang dreißig und noch meilenweit entfernt, als gartelndes und zündelndes Universalgenie die Welt in atemloses Staunen zu versetzen.
Damals haftete Heller der Nimbus des Enfant terrible und egozentrischen Sprücheklopfers an und er machte gerade als Liedermacher und Sänger Furore. “Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo”. Und es gefiel ihm – wie auch in meinem Interview -, sich mit eloquenter Koketterie seine Schwächen einzugestehen. “Ich war sehr hochmütig, über weite Passagen bin ich noch immer hochmütig, aber nicht mehr so ohne Erbarmen. Ich war beeindruckt von Dingen an mir, für die ich gar nichts kann. Die Fähigkeit, die Menschen zu verblüffen, mit der Sprache umzugehen, ist kein Verdienst, sondern ein Geschenk.”
Ein Schwadroneur und Wortakrobat ist er geblieben. Mit 75 Jahren – Heller feiert am 22. März Geburtstag – stapelt er deutlich tiefer und hat es sich, wie er immer wieder gerne betont, zur Lebensaufgabe gemacht, sich lernend zu verwandeln. Den Vorwurf, ein Selbstdarsteller zu sein, muss er sich trotzdem noch immer gefallen lassen. “Zikade der Eitelkeit“ titulierte ihn jüngst ein Forum-User im “Standard”.
Weil ihm seinerzeit das Festspielhaus auf seiner Konzerttournee verschlossen geblieben war, machte er lange einen großen Bogen um Salzburg. Der Auftritt im Café Mozart war ein Glücksfall. Für Veranstalter Sepp Dreissinger, für die enthusiasmierten Zuschauer und Zuschauerinnen, aber auch für Heller selbst. Im Publikum saß Marie Colbin, eine Schauspielerin, die mit gerade mal 22 Jahren am Beginn ihrer Karriere stand. Sie hatte in Turrinis “Rozznjogd” am Landestheater debütiert und kam über Heller wie der von ihm zitierte 14. Juli über Paris. Sie wissen schon, wo das Feuerwerk die Nacht seziert und alle ‚Vivat, Vivat“ schrein… Heller fühlte sich nicht mehr als Liliputaner, er wuchs und wuchs und machte Marie Colbin zu seiner temporären Gefährtin, obwohl er auf dem Papier noch Ehemann von Erika Pluhar war.
Das Café Mozart habe er noch immer in bester Erinnerung, sagte er mir viele Jahre und Frauen später bei einer Buchpräsentation. Ich fasste mir ein Herz und fragte, ob er nicht Lust hätte, wieder einmal im “Mozart” aufzutreten. Heller lächelte milde und wechselte geschickt das Thema. Die Reaktion war vorhersehbar gewesen. Allerdings muss ich mir nicht den Vorwurf machen, ich hätte es nicht versucht.
Bei Erika Pluhar hat es ja auch geklappt. Aber das ist eine andere Geschichte.
© 2022-03-19