Erstmals in meinem Leben gehe ich nicht an der Donau spazieren, sondern auf der Donau. Genau genommen auf der Neuen Donau, die an diesem sonnigen Jännertag Anno Domini 2017 auf voller Länge zugefroren ist. Schlittschuhläufer und Hockeyspieler vertreiben sich die Zeit auf dem Eis, am Ufer kreuzen sich die Wege von sportlichen Joggern und Pensionisten an der Hundeleine. Ich riskiere meinen ersten Eisspaziergang auf der Donau.
Auf halber Strecke meines Weges liegt eine Insel, circa 50 Meter Durchmesser. Im Sommer müssen Erholungssuchende zehn Meter durchs Wasser waten, um sie zu erreichen. Aber viele nehmen diese Mühen auf sich – für echtes Inselfeeling an der Copa Cagrana! Dieses kleine, wild bewachsene Eiland ist amtlicherseits nicht als Müllhalde gewidmet. Offenbar wissen das die meisten Besucher nicht, denn viele Christen, Muslime, Juden, Hinduisten, Atheisten und Nudisten haben ihre Sommerabende hier damit beschlossen, der Nachwelt zu beweisen, dass alle Religionen die Verehrung von Bier und Cola Light vereint.
Viele Menschen mögen sich über die Spuren dieser Kultstätte, diesen Ort der gelebten Völkerverständigung, ärgern. Nicht so der größte Vollidiot auf Gottes Erdboden, der damit beginnt, diese Müllhalde aufzuräumen. Zufällig hab ich ein Billa-Sackerl dabei. Fünf Müllcontainer am anderen Ufer der Neuen Donau sind über Eis in einer Minute erreichbar. Ich beginne meine Aufräumarbeiten – schließlich ist Sonntag – mit einem ökumenischen Stoßgebet: Danke, lieber Gott, für die Erkenntnis, dass keine Religion dieser Welt die Menschen daran hindern kann, die Natur zu schänden!
Ich schätze, dass mindestens 150 Aludosen (bevorzugte Kultmarken Ottakringer und Gösser) und mindestens 100 PET-Flaschen unterschiedlicher Größen den Weg über das Eis gefunden haben. Daneben Teller, Löffel und Gabeln aus Plastik, Bauteile von Grillanlagen und auch einige Glasflaschen, Zigarettenpackerl und Verpackungsreste aller Art!
Eine besondere Herausforderung für einen leidenschaftlichen Sammler besteht darin, jene Kultobjekte auszugraben, die dort deponiert wurden, wo manche offenbar meinen, sie würden damit der Natur weniger schaden. Oder sie könnten ihre Sünden vor dem Auge Gottes oder Allahs im Gestrüpp verbergen. Wie jeder weiß, ist das naiv, denn Gott und Allah sehen alles! Was noch nicht jeder wusste: Gott und Allah sehen alles mit einem einzigen Auge, das sie sich brüderlich teilen! Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es um die Frage: Wie kommt man an die Dosen und Flaschen ran, die fast schon angewurzelt unter einem verwachsenen Dornenstrauch liegen?
Die Leser dieser Zeilen werden mir nicht glauben, aber gerade diesen Fundstücken verdanke ich die Erleuchtung: für jedes Problem, das unsere Zivilisation selbst erschaffen hat, gibt es eine Lösung, die aus dem Sperrmüll kommt. So springt mir in dem Moment der kärgliche Überrest eines Campingtisches ins Auge, praktischerweise ein Tischbein aus Metall. Und dieses Werkzeug hat mir beim Auflesen von mindestens 50 Meisterwerken unserer Zivilisation gedient, bevor es selbst in der Mülltonne gelandet ist.
© Hubert Thurnhofer 2024-01-16