von Matthias Strolz
Kennst du das? Dein Kleiderkasten ist so voll, dass nichts Neues Platz hat. Doch nicht nur der. Wir sind Kinder eines materialistischen Zeitalters. Keine Generation vor uns war so überhäuft mit Allerhand. Das Materielle drängt herein mit Macht. Unser Wirtschaftssystem hat sich zu einer hemmungslosen Bedürfniserzeugungsmaschine verwachsen.
Weil wir schon so voll sind, muss das Neue flüchtig sein. Sonst bremst es die Nachfrage. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) freut sich übers Wegwerfen. Fast food, fast fashion, fast everything. Und wir sind mittendrin.
Dabei spüren wir, dass irgendwas nicht stimmt. Dass wir so nicht weitermachen sollten. Weil es nicht ausbalanciert ist, zu viele Menschen krank macht, unsere Lebensgrundlagen unterminiert. Weil wir uns zu oft zwischen Verlogenheit und Oberflächlichkeit bewegen. Weil es dumm ist, unsere Gesellschaft mit einer Messgröße auszusteuern, die sich über Autounfälle freut. Je größer dein Unfall, desto besser für das BIP.
Echt jetzt!? Alternativenlos? Fällt uns da nichts Besseres ein?
Derzeit sind wir in teilweisen Konsumverzicht gezwungen. Um die Kontrolle über unser Leben zu bewahren, kaufen wir viel Klopapier. Materialismus stabilisiert. Aber wenn wir nachdenklich auf unserem Porzellanthron sitzen oder vor einer Frühlingsblume, dann erkennen wir, dass Konsum allein nicht glücklich macht. Dann wissen wir, dass wir eingeladen sind, das (Zusammen-)Leben ganzheitlicher zu gestalten als bislang.
Irgendwie haben wir Eskalation herbeigesehnt. Da war eine Sehnsucht nach Krise. Das war eine Verwechslung. Weil sich die Sehnsucht eigentlich auf eine bessere Zukunft bezog. Doch fehlte uns die Fantasie, wie eine solche Einzug halten sollte. Deswegen Krise – weil es eine solche brauchen würde, um Wandel herbeizuschaffen.
Nun ist sie da. Ist diese Krise unser Trampolin in eine nachhaltige, sozial-ökologische Marktwirtschaft? Oder wird gerade diese Option in jenen Verteilungskämpfen sterben, die uns jetzt erwarten? Manche meinen, die Nachhaltigkeit wird unter den Virus-Toten sein. Zu teuer. Ich halte auch das für eine Verwechslung. Es kommt darauf an, wie wir messen.
Im Herbst 2014 schlug ich im Parlament vor, für unsere gesellschaftliche Entwicklung nicht mehr auf das BIP zu setzen, sondern auf NeuWind – einen neuen Wohlstandsindikator. Dort sollten Faktoren wie Sozialausgaben, Umwelt und Bildung genauso abgebildet sein wie Familie, Beruf und Gesundheit. Insgesamt war es ein Patchwork aus 36 Steuerungsgrößen, die wir zu einem Gesamt-Indikator verdichtet hatten. Eine Annäherung an das Glück.
Was ist glückliches Leben? Der volle Kleiderkasten allein nicht, da sind wir uns einig. Dann lasst uns als Demokratie diese Auseinandersetzung führen! Lasst uns darum ringen, wie wir das Glück maximieren können, nicht nur das BIP. Und lasst uns endlich eine*n Glücksminister*in bestellen in der nächsten Regierung. Wenn nötig mit täglicher Pressekonferenz.
© Matthias Strolz 2020-04-13