von Martin Dexheimer
Es ist Sonntagmorgen und mein Blick schaut zurück, bringt mich vielleicht auch etwas voran.
Irgendwie kam ich letzte Woche nicht aufs Rad. Die Arbeit hatte sich ganz schön ausgebreitet. Genüsslich kaute sie auf meinen Nachmittagsstunden herum und ließ so gut wie nichts übrig. So kam ich spät und müde nach Hause und eilte am Fahrrad vorüber, ging durch die Räume meiner Wohnung. Ich trug Sachen von hier nach da oder von da nach hier. Dann blieb ich stehen, schaute auf die Dinge in meiner Hand und überlegte, was ich damit machen wollte.
Irgendwann landete ich auf der Couch und döste. Ich träumte mich auf meinen Drahtesel und schon war ich weg. Der Treidelweg war in meinen Gehirnwindungen abgespeichert. Ich bewegte meine Füße und spürte den Fahrtwind in meinen Haaren. Bei meinen wenigen Haaren brauchte ich viel Feingefühl, um das zu spüren. Der Kanal floss fröhlich vor sich hin und gluckste und plätscherte. Auf dem Kanal schwammen Schwanenfamilien, es wurden mehr und mehr, bestimmt 739 Familien. Das Wasser war praktisch nicht mehr zu sehen. Und plötzlich erhöhte der Kanal sein Fließtempo und floss mit all den Schwänen davon.
Neues Wasser floss durch den Kanal, die Schwäne waren zurück, holten Masken unter ihren Flügeln hervor und setzten sie auf. Die Schwäne zogen ein Boot über das Wasser. Das Boot war voll. Also es war voller Spritzen und Selbsttests. Am anderen Ufer erschienen plötzlich wild gewordene Impfskeptiker und warfen mit Hirsebällchen und Grundgesetzbüchern nach den Schwänen. Über ihnen hing Nena an ihren Luftballons, schwebte hinauf und verschwand hinter einer Wolke. Aus der Wolke regneten Spritzen auf die Impfskeptiker herab, manche trafen und blieben stecken. Hinter der Wolke hörte ich Nenas Gekicher.
Ich schüttele den Kopf, schüttele und schüttele und finde mich auf meiner Couch wieder. Ich springe auf, eile in die Küche, will diese Gedanken und Bilder loswerden.
Am Sonntag prasselt flüssiger Sonnenschein an das Fenster, ich bin am Überlegen. Meine Finger klopfen im Rhythmus der Wassermusik auf die Tischplatte. Fahre ich trotzdem mit dem Rad hinaus in die Welt?
Ich pilgere durch meine Wohnung, sehe vor allen Fenstern Regen, mein Wohnhaus ist praktisch umzingelt. Auf dem Flur blinzele ich mein Fahrrad an, es schüttelt energisch mit dem Lenker, will nicht hinaus. So spaziere ich zurück in die Küche, setze mich auf meine freundliche Küchencouch. Eine Tasse Kaffee gesellt sich zu mir. Wir verstehen uns auf Anhieb und kommen uns Schluck für Schluck näher.
Der Regen ist endlos und ergiebig. Gerade erhöht er, wie in Ekstase, seine Intensität. Es rauscht laut und lauter vor dem Fenster. Da bin ich also am Sonntag in meiner Wohnung gefangen.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich und die Wohnung aufzuräumen.
© Martin Dexheimer 2024-02-23