Natursekt brut…al

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

An diesem Wochenende hocke ich zum vierten Mal in der Notaufnahme. Neuer Negativ-Rekord. Die Schwestern kennen mich schon. Ein paar Ärzte auch. Nur der Urologe ist neu. Das ist Mist, denn ich muss dem alles erklären. Die Kittel sind ziemlich misstrauisch, wenn man zu sicher auftritt dabei und gleich eine anständige Infusion verlangt. Man könnte ja auch ein Süchtler sein, der bloß Medis abzocken will. Beim Blick in die Akte am Bildschirm wird aber schnell klar: Ich hab böses Autschi und brauch echt Hilfe.

Aber erst mal das obligatorische Pipi-Abgeben. Ich stell mein Becherchen auf den Sammelwagen vor der Ambulanz und hocke mich wieder hin. Minuten werden zu Stunden, als ich warte, dass ich endlich wieder aufgerufen werde und meine Infusion bekomme. Kurz überlege ich, dass ich einfach losbrüllen sollte, weils so scheiß wehtut, und ich dann eher drankäme. Wer will schon einen missmutigen, schmerzerfüllten 1,89m großen tobenden Bären vor seiner Tür hocken haben! Ich verkneif’s mir dann doch. Ist mir zu peinlich. Durchhalten! Kann sich nur noch um Stunden handeln.

Ein Kind rennt den Gang auf und ab vor mir. Dabei quietscht und brüllt es laut, schmeißt Magazine auf den Boden, schiebt die Stühle in den Gang. Frau Muttern kümmert das alles nicht. Sie hockt weit weg, den Blick ins Handy vertieft. Ich überlege, ob ich der verzogenen Mistmade ein Bein stellen soll. Dann fällt er brüllend hin, und Super-Mom schleppt den dann bestimmt weg von mir. Wäre eventuell sozial unverträglich. Da lass ich’s lieber. Der kleine Scheißer zerrt an meinen Nerven, und sein Brüllen tut mir in den Ohren weh. Andere Patienten haben schon den Standort gewechselt. Nicht auszuhalten der Schreihals!

Ich schließe die Augen. Plötzlich höre ich die Mutter loskreischen. Im südländischen Akzent brüllt sie: “Bist du deppert, du Trottel? Wos saufst du diese? Spuckst du aus! Spuckst du!”, und sie kommt gerannt. Ich blicke auf den angesprochenen “Trottel”, der den Becher mit meiner Urinprobe in der Hand hält – bis auf den letzten Tropfen leergesoffen, vermutlich, weil Apfelsaft auch so eine schöne gelbe Farbe hat. Die Brüllsirene beugt sich vornüber, und spuckt mein tapfer gewonnenes Pipi auf den Boden. Die Mutter stellt den Becher auf den Wagen und schleppt den Lulu-Säufer an der Hand davon. Nicht etwa aufs Klo, um ihm den Mund auszuwaschen. Nein, sie hockt sich mit ihm seelenruhig hin, geht wieder online, während der Schluckspecht seine Zunge wiederholt an seinem Ärmel abwischt.

Ich blicke auf die Pisslache am Boden. “Verdammich!” Der Uro in der Tür blickt auf meinen leeren Becher. “Nanu?” Dann winkt er mich zu sich. Als ich ihm erkläre, wieso es keine Urinprobe gibt, lacht er sich scheckig. “Das muss ich in die Akte schreiben! Da haben die Kollegen auch was zu lachen.”

Ich zucke mit den Schultern. “Freut mich, dass ich alle erheitern kann.”, sage ich und tippe fordernd mit zwei Fingern auf meine Ellenbeuge. “Ahja!”, sagt er und sticht mir kichernd den Zugang in die Vene.

© MISERANDVS 2021-05-18

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