von Musenzeit
Fast Schulter an Schulter auf einer Rundbank, wie an einem einzigen langen Tisch. Ob man nun mag oder nicht, man teilt, was man tut oder spricht, in diesem Eiscafe.
Draußen nieselt sich ein trüber Herbsttag ein.
„Entschuldigen Sie bitte, wenn ich frage, aber schreiben Sie da Tagebuch?“
Im Augenwinkel sehe ich schmale Hände, die neben einer Espressotasse auf dem winzigen Nebentisch ruhen.
„Ja, wenn ich die Zeit und Muße dafür finde.“ Mein Blick fällt in helle, wache Augen, die in jahrzehntealte Lachfältchen in einem freundlichen Gesicht eingebettet sind.
„Das ist schön. Das Schreiben war einmal mein berufliches Metier, wissen Sie. Ich war als Journalist für diverse Zeitungen tätig.“
Nun klappe ich mein Tagebuch zu und wende mich meinem Nachbarn zu. „Ich habe in dieser Stadt vor langer Zeit einmal studiert, bevor ich beruflich nach München gegangen bin. Damals gab es dieses Gebäude und das Cafe noch nicht.“ Sein Blick wandert nach innen.
Ein imposanter Eisbecher steht noch vor mir. Ich lasse mir Zeit mit dem sommerlichen Genuss im Herbst, um nun seinen exquisiten, feinen Anekdoten aus vergangenen Zeiten zu lauschen. Mühelos werden die Jahrzehnte übersprungen und Themen angeschnitten, gekostet, einige durch Innehalten und Nachfragen veredelt.
Seine Finger spielen mit einer altmodischen Pillendose herum. „Manches geht nicht ohne, und manches möchte man auch nicht mehr machen lassen. Ich bin aus meiner privaten Krankenversicherung vor einiger Zeit ausgetreten, es wurde zu teuer“, meint er nur seufzend, als er meinen Blick bemerkt.
„Drei Generationen Frauen zusammen unterwegs, bezaubernd! Herrlich muss das sein“, kommentiert er freudig zum Abschied, als mich meine Mutter und Oma zum verabredeten Stadtbummel abholen. Er reise morgen ab, komme aber wieder. –
Mitten im Winter meldet sich Herr K. telefonisch bei mir und wir verbringen wieder eine angeregte Gesprächszeit im kleinen Eiscafe.
Sein Lächeln und Stimme wirken müde, angestrengt. Die Bewegungen sind langsam.
Die Pillendose ist in seiner Jackentasche, von dort wandert sie nur einmal auf den Tisch. Ich sehe, wie seine Hände zittern, als er eine der Tabletten nimmt. Ich schlucke Fragen mit meinem Kaffee hinunter, höre ihm einfach weiter zu.
Kinder habe er keine. Sein Leben habe dem Beruf gehört, seine Ehe sei leider zerbrochen. Den alten Freundschaften, besonders aus den Studienzeiten, spüre er in diesen Tagen gerne nach. Seinen glücklichen Zeiten. Unsere Gespräche würden ihn daran erinnern, wie es damals war, die studentischen Träume und Lebensfreude. Etwas ganz Kostbares seien diese Erinnerungen.
Wir verabschieden uns als gute Freunde, tauschen weitere Kontaktdaten. Zwei Postkarten erreichen mich, eine davon zeigt ein altes Schwarzweiß-Foto aus seiner Zeit bei der Marine.
Im Frühling wolle er wiederkommen, kündigte er an. Nach Wochen ohne neue Nachricht habe ich ein ungutes Gefühl, rufe ihn schließlich an.
„Kein Anschluss unter dieser Nummer.“
© Musenzeit 2021-06-06