von Andreas Trimmel
Aus einstellig wird zweistellig, aus quadratzahlig wird binÀr, aus kleinlaut wird vorlaut.
Endlich ist es so weit, endlich fĂ€llt die Neun und er darf eine Stelle zulegen. Passend zum Tag lĂ€sst er sich frĂŒhmorgens von – ja, in der Tat -zehn (!!!) haarigen Kuscheltieren zum bereits wartenden FrĂŒhstĂŒck begleiten. Ein GedrĂ€nge sondergleichen, als die elf gleichzeitig und nebeneinander – manche auch ĂŒbereinander – durch die WohnzimmertĂŒr hindurch wollen. Keiner will der Letzte sein.
Als alle abgefĂŒttert sind, setzt er sich hin. Auf die Couch. Und wartet. Schweigend. Untypisch, beides. Sieht regelmĂ€Ăig auf die Uhr, die frech an seinem knöchernen Handgelenk baumelt. Und verkĂŒndet irgendwann im Laufe des Vormittags lautstark: âAber JETZT isâ so weit! Jetzt bin ich endlich zweistellig!â Grinst von einem Ohr zum anderen. Wenn die Ohren nicht wĂ€ren, dann ⊠. Ihr kennt ja den Spruch.
Gut gelaunt, mit vor Stolz geschwellter Brust und zehnmalklug lĂ€uft er nun rum. Neunmalklug war gestern. Ich mag gar nicht mal dran denken ⊠, wenn das so weitergeht … , in den nĂ€chsten Jahren …
Wuselt also rum. ErzĂ€hlt jedem im Haus, dass er nun 10 ist. Und das, damitâs ja keiner vergisst, im FĂŒnf-Minuten-Takt. Bis zum Abend. Samt ErklĂ€rung, warum das sooooo super isâ und was er nun alles machen wird.
Was sollâs, heute hat er Narrenfreiheit, heute sind alle Mitbewohner nachsichtig mit ihm – auch wennâs bisweilen schwerfĂ€llt. Etwa wenn er auf eine kleine Bosheit des groĂen, vor kurzem Achtzehn gewordenen Bruders mit einem breit grinsenden âWerdâ mal erwachsen!â reagiert. Oder wieder mal seine Schwester – meine Lieblingstochter – hinterrĂŒcks schreckt, sodass diese an die Decke geht – und ihm am liebsten an den Kragen.
Kleine Bosheiten bekommâ ich allerdings auch hin. Zumindest gelegentlich. Als ich vorlaut meinte, man könne sein neues Alter auch als âeine Nullâ interpretieren, war er sprachlos. Ob nur perplex oder mich ob meiner Frechheit mit Schweigen strafend, das sei mal dahingestellt. Obwohl – mit Schweigen strafen? Er? Mich? DA-mit?? Ein absurder Gedanke.
Ein absurder Gedanke – im ersten Moment. Im Unterbewusstsein allerdings formt sich allmĂ€hlich ein Verdacht fĂŒr den zweiten Moment. Was, wenn nicht der Gedanke absurd ist, sondern vielmehr wie ich ĂŒber ihn denke, ĂŒber ihn urteile? Ăber den Gedanken. Was, wenn sein Schweigen mich tatsĂ€chlich …? Manchmal denkâ ich mir, mein JĂŒngster hat mir sehr viel voraus.
Happy Birthday, lieber ⊠! Ja, wie nennâ ich ihn nun bloĂ?
© Andreas Trimmel 2020-08-20