von Sabine Schlager
Ausweichmanöver
„Finn bitte, stell dich nicht so an! Hast du Bohnen in den Ohren? Spreche ich Chinesisch?“, reagierte ich mürrisch auf das lethargische Verhalten meines Kollegen, der sich zierte, einen gewünschten Botengang auszuführen. Er wollte, dass ich das übernahm, weil er die Empfängerin nicht mochte, die als eigenwillig und zickig galt. „Sei doch nachsichtig mit ihm“, schaltete sich unvermittelt ein Fürsprecher für den armen gescholtenen Boten ein. „Der Mann ist verwirrt und wer könnte es ihm bei deinem Anblick verdenken?“ „Verwirrt?“, fragte ich stirnrunzelnd, bis du dich neben Finn gestellt hast und ich dich sehen konnte. „Es ist allein deine Schuld Meg“, hast du ihn entschuldigt. Eigentlich war ich es, die verwirrt war. Wie auch immer, du hast in dem tristen muffigen Laden sofort gute Laune verbreitet und die Sommersonne hereingetragen. Mann, hast du attraktiv ausgesehen! Zumindest nicht so verdrossen wie Finn, der uns aufmerksam beobachtete. Nun hatte der Auftrag für ihn noch weniger Priorität. „Finn, du sollst das Kuvert bei Mrs. Purchase abgeben. Ich brauche einen Stempel und ihre Unterschrift als Empfangsbestätigung. Das kann doch nicht so schwer sein!“ Ich musste ihn zwingen, sich auf den Weg zu machen.
„Hier arbeitest du also?“ Du hast dich umgesehen und ich bemerkte sehr wohl deine Vorbehalte. „40 km von Shamrock Hills entfernt, nur um von mir wegzukommen?“ Du hast mich durchschaut, schuldig in allen Anklagepunkten. „Ist mir auch prima gelungen“. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Du nimmst das tägliche Pendeln, diese öde Umgebung und Kollegen wie ihn in Kauf, nur um mir zu entgehen? Wegen des Verdachts der Protektion?“ Dein beleidigter Blick sprach Bände. „Niemand kann aus seiner Haut, Reardon“, bat ich um dein Einsehen mit mir. „Es ist keinesfalls die Protektion, die mir Sorgen macht, denn Dad hat mir diese Stelle vermittelt“, erklärte ich. „Und seine Beziehungen sind nun mal unverfänglicher als deine“, gab ich freimütig zu, um mich zu erkundigen, was dich nach Inverness zur Kreisverwaltung geführt hatte. „Stress und Ärger“, hast du knapp geantwortet und für einen Augenblick dein Lächeln eingebüßt. Ich dachte sofort an Aidan und die bösen Gerüchte um ihn.
Vor meinem Informationsschalter, an dem ich arbeitete, hatte sich bereits eine Warteschlange gebildet. „Darf ich dich nach Dienstschluss auf einen Kaffee einladen? Ich fahr’ dich auch nach Hause?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin leider schon mit Dad verabredet und kann ihm nur schwer absagen“, gestand ich. Es war noch nicht mal gelogen, selbst wenn du das vermutet hast. Dein flehentlicher Blick brachte mich dazu, meine Verabredung mit meinem Vater zu canceln. „Nach 17.00 Uhr im <Pirate’s Cabin>, okay?“, hast du mir schnell zugerufen, ehe du aus dem Bürokomplex verschwunden bist. Pflichtbewusst arbeitete ich meine Warteschlange ab, ehe ich versuchte Dad zu erreichen, der nicht anzutreffen war. „Du versetzt Dad wegen eines Treffens mit Reardon?“ Moms Stimme klang nervös. „So gut ich dich verstehe Meg, du läufst Gefahr, dir an Reardon die Finger zu verbrennen“, warnte sie mich.
© Sabine Schlager 2025-02-21